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Ortsvereinigungen

Heimatforschung in Sachen Familie Goethe – eine Untersuchung der Ortsvereinigung Sondershausen


Schloss Sondershausen (Bildnachweis: Wikipedia/ HieRo GlyPhe)

Heimatforscher, häufig belächelt, graben des Öfteren Erstaunliches aus. Menschliche Schicksale: Berichte und Erinnerungen oder Dinge, nicht selten authentische Daten, die umständlich zu ermitteln waren. Ergebnisse langwieriger Untersuchungen, mühsamer Recherchen in Archiven und längst vergilbten, Staub aufwirbelnden, schlimmer noch: verschimmelten Kirchenbüchern. Oft lassen ihre Entdeckungen die scheinbar vertraute Vergangenheit in neuem und interessanterem Licht erscheinen, ergänzen bekannte Darstellungen. 

Barbara Heuchel hat diese Mühe nicht gescheut und sich „genealogische Forschung zur Familie Göthe in Nordthüringen“ (S. 2) zur Aufgabe gemacht. Ein Jahr lang recherchierte die Vorsitzende der Sondershausener Ortsvereinigung der Goethe-Gesellschaft Weimar. Über die nähere Familie, soweit Goethe sie in Frankfurt selbst noch kennenlernen konnte, informiert „Dichtung und Wahrheit“. Da waren vor allem die Großmutter väterlicherseits, in deren Haus die Familie wohnte, sowie von der Seite der Mutter die Großeltern Textor. Weil der Großvater sich in den Augen seiner Mitbürger als Schöffe und Bürgermeister bewährt hatte, betraute man ihn in Frankfurt mit dem Amt des Stadtschultheißen auf Lebenszeit. 

Über „Goethes unbekannten Großvater“ haben bereits Heiner Boehncke, Hans Sarkowicz und Joachim Seng 2017 eine ergiebige Studie vorgelegt: „Monsieur Göthé“. Der kam 1657 in Artern an der Unstrut zur Welt und hat in seinem Leben bis 1730 einen bemerkenswert weiten Weg zurückgelegt – in jeder Beziehung. Geboren wurde er als Sohn eines Hufschmieds, in einem heute noch erhaltenen Gebäude. Er besuchte eine Lateinschule, lernte Tuchmacherei und das Schneiderhandwerk, kam „auf der Walz“ durch Ost- und Norddeutschland und sogar bis Schlesien, Böhmen und Mähren. Schließlich wanderte er nach Lyon und reüssierte dort als gefragter Schneider. Allein, die Lutheraner wurden 1685 mit dem Edikt von Fontainebleau vertrieben und so zog er als Glaubensflüchtling gen Osten, wollte nach Artern zurück. Doch dort hatte ein Stadtbrand 1683 große Verwüstungen angerichtet, die Bürger benötigten gerade nicht unbedingt edle Kleidung. Also versuchte er sein Glück in Frankfurt. Zunächst als Schneidermeister, später in zweiter Ehe mit der Witwe eines Gastwirts, erwirtschaftete er ein beträchtliches Vermögen. Seinem Sohn Johann Kaspar Goethe erlaubte es eine sorgenfreie Existenz als Privatier und noch sein Enkel Johann Wolfgang profitierte davon. Knapp 20.000 Gulden hinterließ Friedrich Georg Goethe 1730, dazu Häuser, Grundbesitz und nicht zuletzt einen reichhaltigen Weinkeller. Auch seine Verwandten in der Kyffhäuserregion bedachte er testamentarisch.

Einträge der Beerdigungen im Kirchenbuch Berka, Göthe-Stammhaus in Berka (abgerissen 2019)

Diesem väterlichen Zweig hat Barbara Heuchel ihre Untersuchung gewidmet. „Goethes Vorfahren und Verwandte in der Kyffhäuserregion“ interessierten sie. Wie mühsam diese Nachforschungen waren, wird deutlich, sieht man sich die Abbildung handschriftlicher Angaben etwa von Beerdigungen aus Kirchenbüchern an, die es zu entziffern galt (S. 21, S. 31). Eine Karte, zahlreiche Grafiken, auch auf der beigefügten CD, sowie eine Reihe von Abbildungen illustrieren, wo Mitglieder der Familie Göthe überall – im Wortsinn – zuhause waren: etwa in Sangerhausen, in Sondershausen oder in Berka an der Werra. Dort erinnerte lange eine steinerne Tafel daran, dass hier einst „Goethes Berkaer Vorfahren“ lebten, was seine Nachgeborenen aber nicht davon abhielt, dieses „Goethe-Stammhaus“ (S. 22) noch im Jahr 2019 abreißen zu lassen, auch das dokumentiert der Band. Schade eigentlich, man hätte es touristisch oder museal nutzen können.  

Um 1500 wurde der erste bekannte Vorfahre Goethes geboren, der letzte Erbe des Namens verstarb 1976. Barbara Heuchel fand heraus: „Die meisten Goethes/ Göthes sind in Nordthüringen – im heutigen Kyffhäuserkreis bzw. den angrenzenden Regionen – beheimatet gewesen“ (S. 11). Landwirte und Handwerker findet man innerhalb der weit verzweigten Familie, aber keine Künstler – mit einer Ausnahme: Der „Kammermusikus“ und Trompeter „Hautboist“ Heinrich Ferdinand Goethe, geboren 1817 in Berka, dort auch noch im Adressbuch von 1882 verzeichnet, brachte es immerhin zum Mitglied der fürstlichen Hofkapelle zu Sondershausen. Erst 1883 starb er dort. Naturgemäß gibt es aus dieser Zeit wenig genauere Angaben über die sozialen Verhältnisse ‚normaler‘ Bürger. Doch wenn man sich die Berufe ansieht und die Adressen, unter denen Goethes Verwandte auch im weiteren Sinn zu finden waren, lässt sich festhalten, dass sie dem gehobenen bürgerlichen und bäuerlichen Mittelstand angehörten. Edith Baars – als Gästeführerin kennt sie die Region wie wenige Andere – hat eine detaillierte Darstellung des Lebens von Friedrich Georg Göthé hinzugefügt.

Göthe-Stammhaus, Straßenseite bzw. Hofseite (Grafiken von Curt Mücke)

Ob Johann Wolfgang Goethe diese Verwandtschaft jemals kennenlernte, ist nicht bekannt, wenig spricht dafür. Offenbar interessierte sie ihn nicht besonders. An Frankfurt orientierte er sich und schildert seine Kindheit und Jugend dort ausführlich. Deshalb erweitert dieser Beitrag über „Die unbekannten Verwandten“ als „genealogische Forschung zur Familie Göthe in Nordthüringen“ das Bild des Dichters auf lesenswerte und interessante Weise.

  

Barbara Heuchel
Die unbekannten Verwandten. Goethes Vorfahren und Verwandte in der Kyffhäuserregion. 

2020 im Eigenverlag der Goethe-Gesellschaft Sondershausen.

38 Seiten mit einer CD und einer Einlage: Edith Baars, Sondershausen: „Die erstaunliche Lebensgeschichte von Friedrich Georg Göthé – dem Großvater von Johann Wolfgang von Goethe väterlicherseits“.

Die Broschüre gibt es für 3,50 Euro in der Tourist Information Sondershausen.


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