Blog

Aktuelles, Ortsvereinigungen

Goethes „Botschafterin“ in Wetzlar hört auf – Angelika Kunkel war 47 Jahre im Vorstand der Goethe-Gesellschaft

von Gert Heiland

„Füße hoch und Kopf runter“, warnt Angelika Kunkel. Nicht grundlos, denn sie wohnt mit ihrem Mann in einem alten Haus, „irgendwas aus 1700 und …“, mit niedrigen Türen. Ein Haus, das gelebt hat und lebt, eines, das viel erzählen könnte von damals, vom Leben in der Altstadt, von den Menschen. Und vielleicht auch von einem gewissen Herrn Goethe, der als junger Mann durchaus unter den Fenstern vorbeigegangen sein kann. Stichwort Goethe. Ihm – oder besser seinem Werk – hat die 78-Jährige sich 47 Jahre verschrieben. So lange war Kunkel im Vorstand der Wetzlarer Goethe-Gesellschaft, als Schatzmeisterin und zuletzt zehn Jahre als Vorsitzende. Nun hat sie aufgehört, hat das Ruder in die Hand von Oliver Meyer-Ellendt gelegt.

Angelika Kunkel gehört zur Altstadt, man kennt sie, man mag sie, man schätzt die Frau mit den halblangen grauen Haaren und dem milden Lächeln. Das zeigt sie auch bei dieser Frage: Warum Goethe? Es gibt so viele andere Dichter von Rang.

„Warum Goethe? Weil es in Wetzlar die Goethe-Gesellschaft gab und der Vorsitzende Kurt August Schierenberg fragte, ob ich die Kasse führen könnte.“ Sie konnte. Zumal: Eine Buchhändlerin und Goethe, das passt. Übrigens: Der „Faust“, nicht der „Werther“, ist ihr Lieblingswerk. Aber das nur am Rande. Geboren ist Angelika Kunkel aber in Bernbach bei Gelnhausen. Nach dem Krieg kam die Familie nach Wetzlar. „Ich habe meine Kindheit auf der Gass‘ in der Nauborner Straße und in der Altstadt verbracht.“ Schule, Abitur, Buchhändlerlehre in Marburg, sie ist gereist und zurückgekommen, in die Buchhandlung ihrer Mutter, die sie 1960 übernommen und 2014 geschlossen hat.

47 Jahre Vorstand. Da ist viel passiert, doch Tiefschläge gab es nie. „Wir hatten immer Glück, dass alle unsere Referenten, bis auf zwei oder drei, gekommen sind. Oder es gab einen Ersatz. Aber kein angekündigter Vortrag musste ausfallen.“ Anders gefragt: Was waren für sie die Höhepunkte, was bleibt immer positiv in Erinnerung? „Die Jahrestagungen der Vorstände der Goethe-Gesellschaften“, so die prompte Antwort. Zweimal fanden sie in Wetzlar statt, es gab immer viel zu organisieren. Schließlich kamen bis zu 80 ganz unterschiedliche Leute. Solche, die sich ganz still mit Goethe beschäftigen, andere, die ihn irgendwie „managen“ und wieder andere, die ihn als Heroe der deutschen Literatur ansehen, was sie nicht tue, „dazu haben mich zu viele andere Dinge begeistert“.

Zu den Höhepunkten zählt sie die Partnerschaft mit dem russischen Tambow, die 25 Jahre besteht. Friedrich Wilhelm Hedrich, damals Vorsitzender, hatte in der Zeit der Perestroika dort eine Goethe-Gesellschaft gegründet, die zweite in Russland. In dieser Zeit sei sie fast jedes Jahr dort gewesen, zuletzt 2018 oder 2019. Wer heutzutage Russland erwähnt, denkt automatisch an Krieg. Die Situation ist an der Partnerschaft nicht spurlos vorübergegangen. Es gebe zwar noch Kontakt zu den Freunden dort, allerdings „außerhalb jeglicher Formalität“.

Und nun, so ganz ohne Vorstandsarbeit und Ehrenamt? Wie verbringt sie ihre Freizeit? „Ohh“, sagt Kunkel, „ich habe noch viele Dinge, die ich machen will.“ Zum Beilspiel? „Andere Gebiete der Literatur erforschen und mehr reisen.“ Ganz oben auf der Liste: Georgien. Natürlich bleibe sie der Gesellschaft verbunden, stehe mit Rat zur Seite.

Apropos! Wie steht es um die Goethe-Gesellschaft? „Es fehlt die bürgerliche Mitte, etwas, das auch andere etablierte Gesellschaften und Vereine in Wetzlar spüren.“ Es sei eben nicht mehr selbstverständlich, dass man in einer Gesellschaft ist. Doch ihre Gesellschaft habe derzeit rund 170 Mitglieder, das könne sich sehen lassen. Ein Werbeblock: Warum sollte man in die Goethe-Gesellschaft eintreten? Angelika Kunkel überlegt: „Weil man teilhaben kann am literarischen Leben, weil es besondere Vorträge gibt, die den Horizont erweitern.“ Ein Pfund, mit dem man auch in der Kooperation mit der Goetheschule wuchert. Jedes Jahr findet dort ein Vortrag statt. Zuletzt, im Werther-Jahr, sprach Stefan Matuschek über „Werther als Brandbeschleuniger“. In diesem Jahr widmet sich Anne Bohnenkamp-Renken vom Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt Goethes „Faust“.

Letzte Frage: 47 Jahre ist eine stattliche Zeit, gewiss. Aber hat es sie nicht gereizt, die 50 vollzumachen? Nein, denn: „Da ich nicht an solchen Jahreszahlen klebe, war es mein ganz persönlicher Wunsch, jetzt zu gehen. Jüngere müssen ran, es müssen wieder neue Ideen rein, das ist wesentlich.“

Dieser Text und das Titelfoto erschienen in der Wetzlarer Neuen Zeitung. Wir danken dem Autor Gert Heiland für die freundliche Bereitstellung.


Schlagwörter