Blog

Neue Bücher

Virtuelle Wanderung durch Ausstellung und Atelier

von Andreas Rumler

Der Katalog: „‚Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen‘ Uecker – Hafis – Goethe“ des Goethe-Museums Düsseldorf

(Bildnachweis: Landeshauptstadt Düsseldorf/Ingo Lammert)

In unserer letzten Ausgabe hatten wir die Sonderausstellung des Düsseldorfer Goethe-Museums im Schloss Jägerhof vorgestellt: „Uecker – Hafis – Goethe ‚Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen‘“. Ein Angebot, das den Besuchern helfen kann, betrachtend und vergleichend Welten kennenzulernen, die man sonst nicht unbedingt als einander ergänzende erkennen würde. Leider müssen alle Museen nun dank Corona wieder vorübergehend schließen, auch in Düsseldorf, jedenfalls bis Ende November. Das ist für alle Beteiligten und besonders die Interessenten dieser ungewöhnlichen Schau sehr bitter. Als Trostpflaster bibliophiler Art kann sich jetzt der opulent illustrierte Katalog bewähren, den das Goethe-Museum veröffentlicht hat: eine detaillierte Bilderschau zum Mitnehmen mit ausführlichen Einführungen und Erläuterungen zum Trialog dieser drei Künstler über Generationen und Kontinente. Barbara Steingießer hat als Kuratorin einen ausgesprochen lesenswerten sowie reich bebilderten Katalog herausgegeben und nach dem Vorwort des Museumsdirektors Christof Wingertszahn in ihrem Essay das Verhältnis der drei Künstler untereinander erläutert, vor allem auch Günther Uecker porträtiert. Den besonderen Reiz dieser Auswahl macht aus, dass sie gängige Grenzen überwindet, bildende Kunst und Malerei, Lyrik und Philosophie zusammenführt und in ihrer Gesamtschau ungewohnte Perspektiven eröffnet. Günther Uecker hat sich, von der poetischen Kraft der Verse des Hafis und durch Goethe begeistert, der ebenfalls von dem Perser Anregungen aufnahm, auf ihn reagierte, zu farbenfrohen Werken ganz eigenen Charakters und Stils anregen lassen. Es handelt sich nicht um Illustrationen der literarischen Werke. Nun bieten beide im Schloss Jägerhof Betrachtern und Lesern ihrer Arbeiten das Vergnügen, den eigenen Horizont angesichts dieser aufeinander bezogenen Schöpfungen erweitern zu können.

„Huldigung“ an Kollegen … 

Als Dialog, mehr noch, als „Huldigung“ versteht Günther Uecker seine schöpferische Auseinandersetzung mit Hafis: „als aufrichtige Begegnung … mit aller Verehrung“ und: „Ich bekränze ihn ja nur.“ (S. 33) Eine respektvollere Zuneigung ist kaum denkbar. Seinen 42-teiligen Grafik-Zyklus „Huldigung an Hafez“ begreift Günther Uecker als „Wechselrede: ‚Gelesenes wird gestisch, wird zum Ausdruck im Zwiegespräch‘“. Ähnlich hatte Goethe sich 1814 Riemer gegenüber metaphorisch im Brief geäußert: „Hafis hat sich auch wieder gemeldet.“ (S. 33) Beide Künstler setzten sich mit der engen Verbundenheit von bildenden Künsten und Schrift auseinander: “Wie Uecker, der in Laos rätselhafte Schriftzeichen aus der Erinnerung niederschrieb, hat auch Goethe, als er sich mit Hafis befasste, versucht, arabische und persische Schriftzüge nachzumalen.“ (S. 39) Beiden gemeinsam ist die zutiefst humane Haltung: „Diese west-östliche Umarmung bereitet nicht nur Goethes Konzept einer ‚Weltliteratur‘ vor, die von wechselseitiger Kenntnisnahme geprägt ist. Sie umfasst auch das friedliche Neben- und Miteinander verschiedener Nationen und Religionen.“ (S. 42)

Günther Uecker im Goethe-Museum in der Sonderausstellung (Bildnachweis: Landeshauptstadt Düsseldorf/Ingo Lammert)
Kuratorin Dr. Barbara Steingießer führte durch die Sonderausstellung (Bildnachweis: Landeshauptstadt Düsseldorf/Ingo Lammert)

In seinem Atelier im Düsseldorfer Hafen besuchte Barbara Steingießer den mit seinen 90 Jahren beeindruckend aktiven und produktiven Künstler zu einem Interview – freilich erst nach persönlichem Einlass. Aus naheliegenden Gründen hat er seine Klingel deaktiviert. Ein Künstler braucht Ruhe, um Eindrücke auf sich wirken zu lassen: „Diese Gedichte sind so voller Leben, dass es wie eine Geburt ist, wenn man sie liest“ (S. 49 – 59), urteilt Günther Uecker. Ganz offenbar haben beide dort im Atelier recht entspannt zusammengesessen, sich ausgiebig unterhalten. „Liebe und Zartheit“ habe Günther Uecker bei Hafis empfunden, erfuhr Barbara Steingießer, aber auch Sinnlichkeit: „Sonst kann man nicht so sinnlich schreiben. Also lieben, trinken und begehren, sehnen, ahnen … Das ist die Quelle der Poesie. In meinen Gesprächen mit Persern führte das immer zu einem etwas strengen Dialog.“ (S. 55) Seit 2016 stellte Günther Uecker seinen Grafikzyklus „Huldigung an Hafez“ in Städten aller Teile des Irans aus – was dazu führte, dass iranische Künstler ihrerseits mit eigenen Werken reagierten. Parallel zur Ausstellung Uecker – Hafis – Goethe zeigt die Düsseldorfer Galerie Breckner Skulpturen acht iranischer Künstler.

… und interdisziplinärer Dialog: „wiederholte Spiegelungen“

Es ist eine besondere Leistung des Düsseldorfer Goethe-Museums, Goethes Werk vor der Folie seiner Wirkungen auf Künstlerkollegen erfahrbar zu machen: jetzt neben den Arbeiten von Günther Uecker oder wie vor zwei Jahren mit Blick auf die Farbenlehre: „Taten des Lichts: Mack & Goethe“. Auch damals hatte Barbara Steingießer diese Sonderausstellung als Kuratorin entwickelt unter dem Goethe-Zitat: „Des echten Künstlers Lehre schließt den Sinn auf; denn wo die Worte fehlen, spricht die That.“ Goethe selbst hatte angesichts seiner optischen Experimente diese Verbindungen als „wiederholte Spiegelungen“ bezeichnet. Außer der Vorliebe für die Farben des Lichts und die Leuchtkraft der Farbe untersuchte die Ausstellung von Werken Heinz Macks weitere Parallelen der beiden Künstlerpersönlichkeiten, etwa das gemeinsame Interesse an Formen und Strukturen der Natur oder die Inspiration, die beide in der Kunst des Orients fanden.

Vier mächtige Schriftrollen mit unlesbarer, also „schweigender“ Schrift nehmen den ganzen Raum ein: Günther Ueckers „Trommeln“ (Bildnachweis: Landeshauptstadt Düsseldorf/Ingo Lammert)
Goethe-Museum Düsseldorf: Günther Uecker: Ohne Titel (Motiv 36 aus: Huldigung an Hafez), Siebdruck, 2015
(Bildnachweis: Ivo Faber)

Und „wiederholte Spiegelungen“ unterschiedlicher Kulturen und Kunstarten kann man auch hier erleben: von Hafis über Goethe zu Uecker und zeitgenössischen iranischen Künstlern. Diesen Band zeichnet neben der Qualität seiner Abbildungen aus, dass die wissenschaftlichen Essays auch weniger mit den Werken und Charakteren der Künstler vertrauten Lesern umfangreiche Erläuterungen zur Hand geben, elegant und lesbar formuliert – deshalb ist ein Vergnügen, darin bislang unbekannte Fakten kennenzulernen und gemütlich zu schmökern; unwillkürlich dauert die Lektüre länger als beabsichtigt. Dieser Ausstellungskatalog bietet eine gute Gelegenheit, sich die Ausstellung nicht nur schwarz auf weiß, sondern natürlich in Farbe samt Erläuterung und einem Besuch in Günther Ueckers Atelier an den heimischen Kamin einzuladen und garantiert virenfrei bei einem Kaffee oder Glas guten Weins in aller Ruhe zu genießen.

„Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen“
UECKER HAFIS GOETHE 
Herausgegeben von Barbara Steingießer, eine Veröffentlichung des Goethe-Museums Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung  

Düsseldorf 2020
128 S.
ISBN: 978-3-9820611-3-9

Preis: 20,00 €

Der Ausstellungskatalog: „,Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen‘. Uecker – Hafis – Goethe“ kostet 20,00 € (zzgl. 4,00 € Porto und Verpackung: für 24,00 €) und kann beim Goethe-Museum bestellt werden unter: (0211) 8992393 oder goethemuseum@duesseldorf.de

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 5/2020.


Schlagwörter