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Ortsvereinigungen

Kulturvermittlung jenseits von Tweets. Bernd Kemters historische Romane – auch über Goethe

von Andreas Rumler

Eine Exkursion der Ortsvereinigungen Gera und Erfurt nach Neutornow u. a. zur Grabstätte des Vaters von Theodor Fontane

Wie geht man vor, will man heute in Zeiten von Twitter und Co. einem breiteren, nicht akademisch geschulten, bildungsbürgerlich mit Büchern bestückten und an deren Lektüre gewohntem Publikum ‚klassische‘ Kultur nahebringen wie das Weimarer Dichter-Quartett? Immer wieder wurde diese Frage in den Ortsvereinigungen, bei deren Treffen oder bei Hauptversammlungen diskutiert: als Überlebensfrage für viele literarische Gesellschaften angesichts schwindender Mitgliederzahlen. 

Eine Möglichkeit für die Ortsvereinigungen ist, sich trotz des Namenspatrons nicht nur auf den Dichterfürsten zu beschränken, sondern den Blick etwas zu weiten, auch andere Geistesgrößen ins Spiel zu bringen in Vorträgen oder bei Exkursionen: etwa nach Frankfurt ins neue Romantik-Museum oder auf den Spuren anderer Klassiker wie Thomas Mann oder Theodor Fontane. Bezüge zu Goethe ergeben sich fast überall. Er selbst legte Wert darauf, über den eigenen weimarischen und deutschen Tellerrand zu blicken und zu korrespondieren.    

Seit der Erfindung bewegter Bilder gibt es mehr oder weniger seriöse Filme über Goethe und Schiller wie in letzter Zeit „Goethe!“ oder „Die geliebten Schwestern“. Publikumswirksam werden schneidige Helden gezeigt, begeistert rezitieren sie ihre eigenen Verse, Aha-Erlebnisse für die Zuschauer, bekommen sie die einschlägigen geflügelten Worte zu hören, mit Elan toben die Dichter durch Bürgerhäuser und Betten. Allein, wieviel von ihrer Bedeutung wird dabei noch vermittelt? Natürlich gibt es für Lese-Muffel auch Comics zu Goethe und Schiller oder ihren Werken.

Originell bebilderte Sachbücher mit knappen Kapiteln, witzig präsentiert, versuchen dem Leseverhalten der Tweet-Malaise entgegenzukommen, indem sie leicht konsumierbare Angebote servieren. Dagmar Gaßdorf und Bertold Heizmann boten „Goethe für Klugscheißer“ an, pointiert formuliert, klar in ihrer Argumentation und verständlich. Da sich wohl nicht alle Leser mit diesem Reihentitel anfreunden mögen, verzichtete der Verlag inzwischen bei Schiller darauf, auch Heinrich Heine (wie der Dichter der „Räuber“ ebenfalls von Gaßdorf und Heizmann) wird ohne Leser-Charakterisierung geliefert, die manche als Publikums-Beschimpfung verstanden haben dürften.

Traditionell kommt Bernd Kemter daher, inzwischen hat er eine Reihe historischer Romane vorgelegt. Seine Erzählung: „Der Granit lässt mich nicht los – Goethe im Fichtelgebirge und in Böhmen“ umfasst 164 Seiten und erschien 2018 im Selbstverlag. Dabei handelt es sich um die eine Überarbeitung der bereits 2004 veröffentlichten Schilderung „… das Unerforschliche ruhig verehren“. Erzählt wird, wie Christian Stadelmann, ein Kammerdiener, Herrn von G. auf seiner Reise begleitet. Mit Elementen eines Thrillers als modernes Roadmovie, konzipiert auch für eine Verfilmung. Da Bernt Kemter auf wissenschaftlichen Ballast verzichtet, wird er Lesern gerecht, die Goethe überhaupt erst einmal kennenlernen wollen. Man mag diese Geschichte als Leseförderung mit literarischen Mitteln begreifen.

Bernd Kemter bei einer Lesung im Melanchthon-Haus in Jena

Traditionell kommt Bernd Kemter daher, inzwischen hat er eine Reihe historischer Romane vorgelegt. Seine Erzählung: „Der Granit lässt mich nicht los – Goethe im Fichtelgebirge und in Böhmen“ umfasst 164 Seiten und erschien 2018 im Selbstverlag. Dabei handelt es sich um die eine Überarbeitung der bereits 2004 veröffentlichten Schilderung „… das Unerforschliche ruhig verehren“. Erzählt wird, wie Christian Stadelmann, ein Kammerdiener, Herrn von G. auf seiner Reise begleitet. Mit Elementen eines Thrillers als modernes Roadmovie, konzipiert auch für eine Verfilmung. Da Bernt Kemter auf wissenschaftlichen Ballast verzichtet, wird er Lesern gerecht, die Goethe überhaupt erst einmal kennenlernen wollen. Man mag diese Geschichte als Leseförderung mit literarischen Mitteln begreifen.

Doch das Spektrum seiner Interessen ist ausgedehnter. Bernd Kemters Erzählung „Meister Eckharts Prozess: Roman um den mittelalterlichen Prediger und Mystiker“ erschien 2001. Der Roman „Häscher des Herrn. Ein Inquisitor in Mitteldeutschland“ von 2003 beleuchtet die Situation um 1370. Dort wütet ein päpstlich bestellter Ketzermeister im Namen der Heiligen Inquisition. Scheiterhaufen lässt der fromme Mann errichten und brennen, veranlasst Folter und Tod. Starker Tobak, wüste Abenteuer und auch Solidarität, in mitreißenden Bildern detailliert ausgemalt. 

In seiner jüngsten Erzählung „Kalliopes Sturmvögel“ hat Bernd Kemter sich wieder – wenn auch eher als Lichtquelle am Rande – seinem literarischen Zentralgestirn zugewandt: „Goethe und die polnische Romantik“ lautet der Untertitel. Ein junger Offizier namens Marek Kowalczyk gerät in die Wirren des polnischen Aufstandes 1830/31 und nimmt an Gefechten und Schlachten teil. In dienstlichem Auftrag folgt er der Route Goethes durch Schlesien und Polen. Der poetisch interessierte junge Mann lernt den deutschen Dichterfürsten allmählich schätzen und entdeckt die Beziehungen polnischer Dichter zu Goethe. Immerhin haben ihn Adam Mickiewicz, Edward Odyniec und Andrzej Edward Koźmian am Frauenplan besucht. Louis Fürnberg hat über den Aufenthalt der Ersteren seine Novelle „Die Begegnung in Weimar“ verfasst. 

Bernd Kemter
Kalliopes Sturmvögel. Goethe und die polnische Romantik.
Erzählung, RediromaVerlag Remscheid 2021, 260 S., 10,95 €

Zurück zu Bernd Kemter: Ihm geht es um die Entwicklung in Polen. Als die Aufständischen mit ihrem Versuch endgültig scheitern, die Herrschaft des Zaren abzuschütteln, fliehen Tausende von Offizieren und Intellektuellen, Dichter und Wissenschaftler nach Westen. In verschiedenen deutschen Ländern bilden sich ‚Polenvereine‘, kommt es zu Sympathiebekundungen. Die Vertreter eines zu schaffenden deutschen Nationalstaats fordern Solidarität. So flattert auf dem Hambacher Fest 1832 neben der deutschen auch eine polnische Fahne. Ein Register authentischer Personen und die Zeittafel unterfüttern den schmissig fabulierten und süffig zu lesenden Roman. Mehr noch: Sie verleihen ihm jene historische Tiefenschärfe, die dazu anregt, sich mit den Figuren und ihrem Verhalten intensiver zu beschäftigen.

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 3/2021.


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