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Tambour mit Charme – Heinrich Heine heutigen Lesern nahegebracht

von Andreas Rumler

Wie interessiert man heute, angesichts veränderter Lese-Gewohnheiten, Menschen für Autoren der Klassik und deutschen Literatur im weiteren Sinn? Kurztexte der angeblich sozialen Medien haben Konjunktur. Deshalb versuchen Verlage, ihr Publikum auch mit Graphic Novels oder Comics zu gewinnen für Themen, die als anspruchsvoll gelten.

So gibt es Dichter-Biografien in dieser Form, literarische Texte wie den „Faust“ oder „Erlkönig“ grafisch aufbereitet; moderne „Formate“, wie das neudeutsch genannt wird. Wir berichteten darüber. Natürlich stellt sich die Frage, wieviel Substanz etwa des „Faust“ auf diese Weise erhalten bleiben kann.

Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer haben jetzt eine Biografie Heinrich Heines von 64 Seiten vorgelegt, etwas größer als das Din-A-4 Format. Im Bielefelder Splitter Verlag, der auf Comics oder Graphic Novels spezialisiert ist. Kompliziertere Themen interessieren das Ehepaar offenbar, 2014 veröffentlichten sie eine Graphic-Novel-Adaption des Anti-Kriegs-Romans „Im Westen nichts Neues“ nach Erich Maria Remarque. Und im Juni 2016 begleiteten sie eine Rettungsfahrt und porträtierten in ihrer Comic-Reportage „Liebe deinen Nächsten“ die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinter der Initiative SOS Méditerranée. Auch eine Biografie des Osnabrücker Juristen, Literaten und Staatsmannes Justus Möser (1720–1794) schrieben und zeichneten sie. Goethe schätzte den Aufklärer, der seinen „Götz“ gegen Friedrich des Großen Schmähschrift „De la littérature allemande“ verteidigte. Bei seinem Gespräch mit Carl August in Frankfurt 1774 spielten Mösers Schriften eine zentrale Rolle. Der Herzog zeigte sich Mösers Ideen gegenüber aufgeschlossen. Das dürfte für Goethe wichtig gewesen sein und ihm die Entscheidung erleichtert haben, dem jungen Herrscher nach Weimar zu folgen.

Anthologie und …

Was knapp und pointiert formuliert ist, muss nicht unbedingt arg verkürzt sein. Hier wird nicht kleinteilig eine Bildergeschichte erzählt mit Sprechblasen, sondern Heinrich Heines „Lebensfahrt“ nachgezeichnet im Wortsinn. Als Leitmotiv sieht man seine Kutsche durch den Band rollen. Der Untertitel: „eine Lebensfahrt“ bietet verschiedene Assoziationen an, erinnert an Ernst Blochs Wort von Fausts „Lernfahrt“ oder Heines „Wintermärchen“, das ja auch eine Reise thematisiert, an Heines „Reisebilder“ mit der „Harzreise“ und der „Nordsee“.

Gleich eingangs weisen Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer darauf hin, dass die – meist – recht ausführlichen Zitate aus Heines Schriften kursiv gesetzt sind. Letztlich handelt es sich um eine gut erläuterte Anthologie oder eben eine pointierte Darstellung der politischen und Lebens-Geschichte mit Belegen in Form von Gedichten, Prosa, Dokumenten und Berichten in Auszügen. Die Biografie wird aufgelockert durch mit Witz und Humor gezeichnete Bilder, die Tristesse dieser nicht einfachen Existenz als diskriminierter Jude, der aus politischen Gründen ins Exil fliehen muss und in der „Matratzengruft“ endet, stets von Geldsorgen bedrängt, gewinnt Farbe durch diese heiter gestaltete Präsentation. 

Heines Schulzeit (c) Splitter Verlag

Vielfältig sind die Bildmotive. Von einer realistisch gezeichneten „Luftaufnahme“ – unwillkürlich denkt man an den Blick aus einer Montgolfiere – der Metropole Paris um 1854 (S. 3) und Düsseldorf (S. 7), einzelnen Szenen dort, Hamburg, Berlin oder Paris über recht genaue Portraits einzelner Gesprächspartner Heines wie Goethe (S. 30), Börne (S. 48), Platen (S. 40), George Sand (S. 47) oder Karl Marx (S. 54) bis hin zu allegorischen und witzigen Skizzen reicht das Spektrum. Etwa, wenn die Autoren Heines Bonmot zitieren, bei Helgoland röche „das ganze Meer nach Kuchen“ (S. 43) und dann die Felseninsel als Tortenstück im Ozean erscheinen lassen (S. 42). An van Gogh erinnert die illustrative Gestaltung des Abschnitts über „Liebe und Revolution“ (S. 50–51).

… Biografie

Paris als Rahmen mit der „Triumphforte des Boulevards Saint-Denis“ (S. 44–45) ziert Heines Text zu dem Bild von Delacroix „Die Freiheit führt das Volk“ im (ebenfalls gezeichneten) Louvre: „‚Papa!‘ rief eine kleine Karlistin, ‚wer ist die schmutzige Frau mit der roten Mütze?‘“ (S. 45), und man findet die Freiheitsgöttin weiter hinten isoliert in einer Allegorie zum „Wintermärchen“ (S. 59). Ein zerfledderter Preußischer Adler – „Du häßlicher Vogel …“ (S. 58) – und die berühmten „Zuckererbsen“ (S. 58) dürfen dort auch nicht fehlen, wie bereits ein Trommler auf Heines „Doktrin“ im hinteren Umschlag vorausweist.

Wichtigen Kontrahagen Heines sind einzelne – fast ist man versucht zu sagen – Kapitel gewidmet: den gegenseitigen Anwürfen mit Platen (S. 40–41) oder der langsamen Entzweihung mit Börne (S. 48–49). Speziell in diesen beiden Fällen war Heine nicht nur fair in seiner Kritik. Platen hatte ihn antisemitisch angegriffen, den Grafen als homosexuell zu „outen“ kam einer sozialen Hinrichtung gleich. Und das Buch über Börne erschien posthum. In beiden Fällen hat Heine damit auch Sympathien seiner Anhänger riskiert und verspielt, freilich ging es ihm nicht nur um eine persönliche Revanche, um Rache an Kontrahenten. Exemplarisch erörtert er in beiden Auseinandersetzungen reale politische Probleme.

Natürlich kommen auch Freunde und Förderer, Verwandte und Geschäftspartner nicht zu kurz, wie Heines Onkel Simon (S. 14), das „rote Sefchen“ (S. 15), der Onkel und Mäzen Salomon Heine mehrfach (ab S. 17), Karl Marx (S. 54–55), natürlich Julius Campe (S. 36) und Johann Friedrich Cotta (S. 38). Heines komplizierte Beziehungen zu Mathilde (Augustine Créscence Mirat, S. 52–53) und Mouche (Elise Krinitz, S. 62) schildern die Autoren taktvoll und dezent.

Heine bei Goethe (c) Splitter Verlag

Der kurzen und einzigen Begegnung mit Goethe widmen sie eine ausführliche Darstellung, schildern das Treffen aus der Sicht der Beteiligten und des Bruders von Heine. Wichtiger ist ihnen vor allem Heines Urteil. Der habe Goethe verehrt, aber dessen „Meisterwerke“ auch kritisch gesehen: „Sie zieren unser teueres Vaterland, wie schöne Statuen einen Garten zieren, aber es sind Statuen. Man kann sich darin verlieben, aber sie sind unfruchtbar: Die Goetheschen Dichtungen bringen nicht die Tat hervor wie die Schillerschen. Die Tat ist das Kind des Wortes, und die Goetheschen schönen Worte sind kinderlos.“ (S. 20)

Spott über und als Waffe gegen …

An Hand von Heines wohl bekanntestem Poem, der „Loreley“ – so bekannt, dass die Nazis gar nicht erst versuchten, es zu verbieten, in Liedersammlungen dieser Jahre findet sich die absurde und lächerliche Behauptung, der Verfasser sei „unbekannt“! – demonstrieren Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer, wie vielfältig deutbar dieses scheinbar simple Volkslied ist (S. 24–25). Alle deutschen Liedertafeln dürften es damals gekannt und gesungen haben, bis heute erlebt man Reisegruppen, nicht wenige aus Asien, wie sie angesichts des Felsens auf einem der Schiffe den Text nach Friedrich Silchers Melodie intonieren, gern auch auf dem einzigen Schaufelrad-Dampfer auf dem Rhein: der „Goethe“.

Heines Traumata kommen zur Sprache wie seine Diskriminierung wegen des jüdischen Glaubens der Familie und seine Skrupel, sich als „Entréebillet“ für eine akademische Karriere taufen zu lassen. Ihm sei: „die Taufe ein gleichgültiger Akt … Aber dennoch halte ich es unter meiner Würde und meine Ehre befleckend wenn ich, um ein Amt in Preußen anzunehmen, mich taufen ließe“ (S. 32). Er tut es, kann die geplante Hochschullaufbahn trotzdem nicht antreten, weil christliche Kreise massiv Stimmung gegen ihn machen.

… Preußen

Natürlich ist auch Heines ständiger Kampf mit der Zensur ein Thema, er verspottet die Zensoren mit größtem Vergnügen. „Ihr Thoren, die Ihr im Koffer sucht!/ Hier werdet Ihr nichts entdecken!/ Die Contrebande, die mit mir reist,/ Die hab‘ ich im Kopfe stecken.“ (S. S.58) Genial ist seine grafische Darstellung aus dem „Buch Le Grand“ (Kapitel XII) mit selbst gesetzten Strichen, wie sie der Zensor vorgenommen hätte. Übrig bleiben in dem langen Text zwischen zahlreichen Balken nur 4 Worte: „Die deutschen Censoren“ … und, einige Zeilen später: „Dummköpfe“. Das kapierte die preußische Obrigkeit offenbar nicht (S. 37). Quod erat demonstrandum …

Sein Exil findet Heine in Paris und rasch Kontakt zu anderen führenden Köpfen der Zeit. Längst ist er Kosmopolit: „Das aber fürchten die Aristokraten am meisten; mit der Zerstörung der nationalen Vorurtheile, mit dem Vernichten der patriotischen Engsinnigkeit schwindet ihr bestes Hülfsmittel der Unterdrückung.“ (S. 45) Als er auf Einladung Campes nach fast 11 Jahren der Emigration wieder nach Hamburg reist, nimmt Heine ein Schiff über die Elbe, um auf dem Wasserweg Preußens Boden und Haftbefehle zu umgehen.

Tambour …

Bezeichnend für Heines Kunst ist, dass sie stets mit Charme auftritt, auch wenn er kritische Töne anschlägt. Für Menschenrechte stritt er mit Empathie und Sympathie für die Unterdrückten, die es zu befreien galt, indem Dichter wie er sie aufklärten. So fordert er in der „Doktrin“: „Schlage die Trommel und fürchte dich nicht“, die Leute „aus dem Schlaf“ zu trommeln, und auch: „küsse die Marketenderinn!“ (S. 66) Klar, es geht ihm um die Überwindung aristokratischer Willkür, aber mit Witz und Eleganz, mit poetischen Mitteln. Auch in seiner Prosa wie den „Reisebildern“, erst recht im „Wintermärchen“. Deshalb versteht er sich als „guter Tambour“ im Geist der Philosophie Hegels.      

… noch aus der Gruft

Bitter sind Heines lange letzte Jahre in der „Matratzengruft“. Noch vier Bücher schreibt er, fast gänzlich gelähmt, sein „Romanzero“ wird ein Bestseller. „Da schreit ein lebendig Begrabener durch die Nacht oder gar eine Leiche oder gar das Grab selbst.“ (S. 61) Heine vermutete, an Syphilis erkrankt zu sein: an der „Krankheit der glücklichen Männer“ (S. 60). Hilfreich wäre eine Chronologie gewesen und eine Liste der Werke Heines, aber dafür gibt es ja das weltweite Netz.     

Zahlreiche „Übersetzungen“ der Formulierungen Heines in modernes Deutsch erleichtern die Lektüre. Man gewinnt den Eindruck, dass Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer mit großem Vergnügen an dieser Aufgabe gesessen haben. Sorgfältig und liebevoll haben sie Bilder und Texte gestaltet, offenbar mit Spaß und Lust an der Sache. Das teilt sich dem Leser unwillkürlich mit und wird viele verleiten, diese anregende und spannende Lektüre durch Texte Heines zu ergänzen. So kann man Klassiker heutigen Lesern nahebringen.

(c) Splitter Verlag

Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer
Heinrich Heine – eine Lebensfahrt

Bielefeld 2023
66 Seiten
ISBN 978-3-95839-452-0

Preis: 18,00 €


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