Blog

Neue Bücher

„Faust“ mit Sprechblasen – Alexander Pavlenko und Jan Krauß legen eine Graphic Novel „nach Goethe“ vor

von Andreas Rumler

Dichtung lebt davon, dass ihre Inhalte produktiv rezipiert werden. Nur wenige Stoffe dürften so vielfältig variiert worden sein wie die Legende vom Dr. Faust, sieht man einmal von Homers Werken ab, aber hier ist bereits umstritten, ob es den einen Urheber wirklich gab. Märchen wurden überliefert aus und in unterschiedlichsten Sammlungen oder jene Mythen, die Eingang in die Bibel fanden, und deren Motive, die andere Autoren übernahmen. Spannend lässt sich verfolgen, wie im Lauf der Literaturgeschichte Akzente verändert wurden, Charaktere hinzukamen oder ihr Auftreten wechselten. Bekannt ist Goethe weltweit vor allem wegen seiner Version des „Faust“, angelegt als Menschheitsdrama oder – wie Bloch einmal formulierte – als „Lernfahrt“ dank Mephistos „Zaubermantel“.  

Auf den Stoff wurde Goethe aufmerksam in Gestalt eines heute nicht mehr zu identifizierenden Puppenspiels, auch Jahrmarktsdrucke kannte er. Bereits zu seiner Zeit hatte die Legende vom „Teufelsbündler“, der mit Hilfe überirdischer Kräfte Macht und Erkenntnis gewinnen will und bei Frauen Eindruck hinterlässt, nicht wenige Autoren angeregt. Auch andere Überlieferungen und Erlebnisse sind in diesen Komplex eingeflossen. Da über den historischen Johann Georg Faust – er lebte wohl von1480 bis 1541 – und sein Ende wenige gesicherte Daten vorliegen, eignet er sich hervorragend für Fabulierkünste. Im Gasthaus „Zum Löwen“ in Staufen bietet man einen mit antiken Möbeln dekorierten Raum an, angeblich wurde Faust dort vom Teufel geholt – ein Zimmerservice der etwas anderen Art.

Romane und Dramen erschienen und werden noch lange Konjunktur haben. Opern wie „Faust“ – mit dem deutschen Titel „Margaret(h)e“ – von Charles Gounod erweisen sich als Publikumsmagneten. Auf Jahrmärkten gelang es Bänkelsängern, ihren Zuhörern Schauer über den Rücken laufen zu lassen. Verfilmungen erreichten eine breite Öffentlichkeit. Mit Playmobil-Figuren findet man die Handlung im Netz nachgestellt. Als neuere Genres sind Comics und Graphic Novels hinzugekommen. Bereits 2002 veröffentlichte Barbara Kindermann mit Illustrationen von Klaus Ensikat ihre kindgerechte Version „‚Faust‘ nach Johann Wolfgang von Goethe“, eine ausführliche Rezension (zusammen mit ihrer Adaption des „Götz“) bietet das Goethe-Jahrbuch, Band 138 von 2021 (S. 263–267).  

Die literarischen Wiederauferstehungen des dunklen Ehrenmannes und seines Rendezvous mit dem Teufel scheinen kein Ende nehmen zu wollen. Über Jahrzehnte war das Bürgertum mit Goethe und seinen Helden Mephistopheles und Faust vertraut, gehörten Zitate und Anspielungen darauf zum guten Ton in besserer Gesellschaft, sicherten Lehrpläne die Kenntnis dieses Textes ab. Inzwischen wurden Unterrichtsvorgaben gekürzt auf wenige Minuten oder ganz gestrichen. Schade eigentlich, lässt sich doch an Hand älterer Ausgaben und der Marginalien von Schülerhand ablesen, dass ein Verständnis bis hin zu Anspielungen auf antike Quellen möglich war. Doch das scheint in einer Epoche knapper und verkürzender Twitter-Botschaften offenbar nicht mehr zeitgemäß. So verkümmert die Kenntnis eines der bedeutendsten Texte der Weltliteratur ausgerechnet im Sprachraum seiner Entstehung. Anders erfahren wir es in der internationalen Goethe-Gesellschaft: Weltweit werden seine Texte gelesen und übertragen.

Im Europäischen Übersetzer-Kollegium in Straelen am Niederrhein, nahe der niederländischen Grenze, erlebten wir einmal, dass eine Gruppe von gut 30 Übersetzern den Beginn des Osterspaziergangs in ihren Landessprachen vortrug: begeistert und stolz auf ihre Leistungen, aber ebenso angetan, sich gegenseitig über dieses Drama angeregt und kennengelernt zu haben. Doch an deutschen Schulen und Hochschulen hält sich das Interesse an diesem international respektierten Text in Grenzen. Wie dramatisch allein seine Entstehung verlief und wie sehr Goethe im Lauf der Jahrzehnte einzelne Aspekte umformte, lässt sich ebenfalls im aktuellen Jahrbuch nachlesen. Terence James Reed untersucht dort „Muttermord und Schwangerschaft – und andere Probleme Goethes bei der Komposition von ‚Faust I‘“ (S. 85–91).

Es spricht für die „edition faust“ in Frankfurt am Main, dass sie diesem Mangel jetzt abhelfen will und zwar mit einer „Graphic Novel“. Im beigefügten Werbetext liest man dazu: „Alle Welt kennt den Gelehrten Faust, der einen Pakt mit dem Teufel schloss. Einige Zitate aus dem großen Werk sind Teil unserer Umgangssprache geworden. Jedoch fordert das Original sowohl hinsichtlich der Sprache als auch in Teilen der inhaltlichen Bezüge dem heutigen Leser viel ab, ist ohne Interpretationshilfen schwer in Gänze zu verstehen. Die Graphic Novel FAUST will hier Abhilfe schaffen und das Meisterwerk jedem zugänglich machen.“ Ansprechend und gediegen ist die Ausgabe gestaltet mit Alexander Pavlenkos Illustrationen, auf gekonnte Weise changieren sie zwischen realistischer Darstellung und einer holzschnittartigen Verfremdung, meist ist die Farbpalette fast monochrom gehalten in Blau-, Grau- und Brauntönen. Einen Eindruck gibt das Video auf Youtube. Ganz offensichtlich vermeidet Alexander Pavlenko optische Effekthascherei, wird dem Ernst des Dramas gerecht.

Auch der Katalog der „edition faust“ stellt das Buch vor. Da ist von „meisterlich gezeichneten Szenen wie aus einem kühnen Historienfilm“ die Rede, „sinnfällig visualisiert, wirbelt der Leser durch verschiedene Sphären, Milieus und Zeiten im Himmel wie auf Erden, trifft auf Menschen, Lehren, Götter, Geister, Hexen und Magie.“ Mit diesen beiden Darstellungen wird der komplizierte Spagat deutlich, vor den sich beide Künstler gestellt sahen. Eine simple Nacherzählung sollte es nicht werden. Aber auch kein bunter Abenteuer- oder Kostüm-Klamauk als Buch in Bolly- oder Hollywood-Manier. Freilich wollte Alexander Pavlenko jede Tristesse vermeiden.

Jan Krauß sah sich mit der Herausforderung konfrontiert, Goethes Text aufzugreifen, ihn zu modernisieren und „zugänglich“ zu machen, letztlich auch „Interpretationshilfen“ zu geben. Zu Beginn stößt man auf Vertrautes. Die „Zueignung“ entfällt, aber das „Vorspiel auf dem Theater“ sowie der „Prolog im Himmel“ werden genannt und modifiziert, vor allem: gekürzt gebracht, danach entfallen aber sämtliche Akt- oder Szenen-Titel. Das gesamte Geschehen läuft unter der Überschrift: „Faust Der Tragödie erster Teil“. Verständlich, dass viele der bekannten Zitate dabei unter den Tisch fallen – standen doch lediglich Sprechblasen zur Verfügung. Richtig ist auch, dass viele Ausdrücke und Anspielungen Lesern heute nicht mehr verständlich sind. Ob es aber reicht, dass man Goethes Formulierung „Das also war des Pudels Kern!/ Ein fahrender Skolast? Der Casus macht mich lachen“ simplifiziert zu: „Das also verbirgt sich im Pudel: ein Scholastiker! Ich glaube, ich muss lachen“ darf bezweifelt werden (S. 40). Hilfreich wäre ein Anhang gewesen, der erläutert, was „Scholastiker“ waren oder wie heutige Leser lateinische Zitate: „Dies irae, dies illa solvet saeclum in favilla“ verstehen sollen. (S. 141)

Aus Goethes Mephistopheles in den Mund gelegtem „Ich bin der Geist, der stets verneint!/ Und das mit Recht; denn alles, was entsteht,/ Ist wert, daß es zugrunde geht;/ Drum besser wär’s, daß nichts entstünde./ So ist denn alles, was ihr Sünde,/ Zerstörung, kurz das Böse nennt,/ Mein eigentliches Element“ wird bei Jan Krauß schlicht: „Mein Element ist die Sünde, die Zerstörung, kurz das Böse“ (S. 40). Es mag ja legitim sein, vorliegende Texte als Steinbruch zu benutzen, hier aber wird Goethes kritischer Ansatz in sein Gegenteil verkehrt. Man hat den Eindruck, einen Sünder im Sinn der Kirche, von Heiligen-Legenden oder des Faustbuchs des „Christlich Meynenden“ von 1725 zu vernehmen. Das war nicht Goethes Anliegen. Hier tritt ein Mephisto mit verändertem Charakter auf.

Was bleibt von Goethes „Faust“ also? Zu Beginn, im gotischen Studierzimmer mit Lesepult und Folianten, beschwört Faust den Erdgeist und wird abgewiesen: „Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir!“ (S. 23) Wagner erscheint, beide unternehmen den Osterspaziergang, Faust berichtet von den medizinischen Fehlern seines Vaters und beginnt die Bibel in sein „geliebtes Deutsch“ (S. 37) zu übertragen. Alles in allem also eine Verkürzung mit der erkennbaren Absicht, dem Ablauf der Vorlage gerecht zu werden. In „Auerbachs Keller“ ist den Studenten „kannibalisch wohl, als wie fünfhundert Säuen!“ (S. 64) und Mephisto trägt sein Lied vom „großen Floh“ vor (S. 60). Auch alle weiteren wesentlichen Szenen werden dabei mit dem „Zaubermantel“ – zu sehen auf S. 57 – im Wortsinn: überflogen. Diese Form einer Verkürzung von Goethes „Faust I“ hilft, die Handlung rasch kennenzulernen.

Damit erinnert das Projekt einer Modernisierung „nach Goethes ‚Faust I‘“ an eine Readers Digest Version oder eine der beliebten Kinderbibeln. Aber natürlich auch an Brechts Anekdote „Form und Stoff“ aus den „Geschichten vom Herrn Keuner“. Der berichtet dort, dass ihn ein Gärtner aufgefordert habe, mit der Schere einem Lorbeerbaum die Form einer Kugel zu geben. Herr Keuner schneidet und schneidet, bis die Kugel „sehr klein“ ist. Deshalb ist der Gärtner enttäuscht: „Gut, das ist die Kugel, aber wo ist der Lorbeer?“ Wenn das Buch von Pavlenko und Krauß mit seinen Sprechblasen wirklich dazu beiträgt, dass mehr Leser sich für Goethes „Faust“ und andere Texte dieser Tradition bis hin etwa zu Thomas Manns „Dr. Faustus“ interessieren, haben die Autoren ihr Ziel erreicht: „das Meisterwerk jedem zugänglich“ zu machen.

Alexander Pavlenko
Faust. Graphic Novel von Alexander Pavlenko und Jan Krauß nach Goethes FAUST I

Frankfurt am Main 2021
Hardcover, 162 Seiten
ISBN 978-3-945400-78-4

Preis: 24,00 €


Schlagwörter