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Goethe in Butzbach? Eine lokalhistorische Reminiszenz

von Jochen Golz

Butzbacher Marktplatz mit Rathaus (Bildnachweis: Wikipedia/Mischa L.)

Der Zufall will es, dass in diesem Newsletter ein drittes Mal auf einen Goethe-Bezug im städtisch-ländlichen Milieu aufmerksam gemacht werden kann. Diesmal handelt es sich um das hessische Städtchen Butzbach in der Wetterau, aus dem jener Leopold Heinrich Pfeil (1726-1792) stammt, der Goethe und seiner Schwester Cornelia Sprach- und Klavierunterricht erteilt hat und dem der Dichter in „Dichtung und Wahrheit“ als ein „Musterbild und antreibender Hausfreund“ ein Denkmal setzte. Pikant an der Geschichte ist, dass sich Goethes Vater in gewisser Weise vorher als Kuppelvater erwiesen hatte, weil er Pfeil, der etliche Jahre bereits in seinen Diensten stand, mit seiner eigenen Cousine Friederike Charlotte Wilhelmine Walther zusammenbrachte, die bereits 27 Jahre alt und nach den Begriffen der Zeit beinahe schon ‚überständig‘ war. Aus der 1746 geschlossenen Ehe gingen acht Kinder hervor. Eines davon, der Sohn Johann Wilhelm Pfeil (1748-1809), könnte, so mutmaßt der Verfasser, mit Goethes Kindern zusammen aufgewachsen sein; in jedem Falle war er Goethes Cousin zweiten Grades. Pfeil schlug eine Karriere als „Handelsmann“ in London ein und starb auch in England. Eine Verbindung zwischen diesem Pfeil und Goethe hat offenbar nicht existiert.

Das alles und noch weit mehr ist nachzulesen in den Ausgaben der „Butzbacher Geschichtsblätter“ vom 29. Oktober und 25. November 2020, die, herausgegeben vom Geschichtsverein für Butzbach und Umgebung, monatlich als Beilage zur „Butzbacher Zeitung“ erscheinen. Der Autor Peter Range hat die Familiengeschichte der Pfeils sorgfältig rekonstruiert; eine Stammtafel legt davon Zeugnis ab. Doch nicht nur in dieser Hinsicht ist der Beitrag für Goethe-Freunde von Interesse. Er wirft auch ein Licht auf die soziokulturellen Verhältnisse im Frankfurter Bürgertum, in das Pfeil hineingeheiratet hatte. Seine soziale Stellung gibt sich nicht zuletzt in der Wahl der Paten für seine Kinder zu erkennen. Range hält fest: „Die Paten der Kinder kommen aus elitären Frankfurter Handelsfamilien: de Neufville, Gontard, Johannot und Andreä. Nur zweimal sind die Paten aus der direkten Verwandtschaft: 1750 ist Cornelia Goethe, geborene Walther, eine Tante der Kindsmutter Patin und 1759 Anna Katharina Walther, eine Schwester der Kindsmutter.“ Hinter einem solchen Satz verbirgt sich die mühselige Suche in Kirchenbüchern, günstigenfalls heute schon in Registern oder im Netz. Apropos Gontard: dieser Name sagt auch dem Hölderlin-Freund etwas.

Mehr als eine Stadt hat sich in dem Anspruch hervorgetan, das reale Vorbild für die Szenerie in Goethes epischer Dichtung „Herrmann und Dorothea“ geliefert zu haben. Mannheim kann ins Feld führen, am Anfang des dritten Gesangs genannt worden zu sein, Pößneck legt Wert darauf, Goethe nicht zur als Übernachtungsort, sondern auch als Schreib- und Anschauungsort gedient zu haben – in dieser Nummer ist es nachzulesen. Doch auch Butzbach darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, denn bereits 1988 hat Max Söllner in seinem Büchlein „Goethe in Butzbach und andere historische Geschichten aus der Wetterau“ den Nachweis führen wollen, dass lokalhistorische Details auf Butzbach als Handlungsort verweisen. Dieser literarische ‚Konkurrenzkampf‘ wird wohl nie zu entscheiden sein und muss auch nicht entschieden werden, denn Wirklichkeit und Kunst sind auch bei dem Realisten Goethe durch eine strenge Grenze geschieden. Vielleicht trösten sich alle in diesen Fragen engagierten Goethe-Freunde mit einem Xenion, das von Homers Geburtsort und dessen Erforscher Wolf handelt und das ich gern Goethe zuschreiben würde:

Sieben Städte zankten sich drum, ihn geboren zu haben;
Nun da der Wolf ihn zerriß, nehme sich jede ihr Stück.

In diesem Newsletter haben wir Regionalhistoriker unterschiedlichen Profils zu Wort kommen lassen, haben ihre Bemühungen, so hoffe ich, redlich dargestellt. Damit möchten wir eine große Tradition ins Bewusstsein heben, war es doch – mittlerweile schon in fernerer Vergangenheit – ein guter Brauch, dass sich Lehrer, Pfarrer und andere geschichtskundige Bürger in ihrer Freizeit der manchmal belächelten Beschäftigung hingaben, Spuren einer großen Vergangenheit an ihrem Wohnort aufzusuchen. Sicher ist dabei manches Kuriose zustande gekommen, doch auch das Kuriose legt Zeugnis ab vom Willen zu historischer Exaktheit und vor allem von einer Liebe zur eigenen Heimat und zur eigenen Herkunft, an die heute getrost angeknüpft werden kann. Dass sich dafür auch gegenwärtig Beispiele finden lassen, wollen wir auch künftig zum Gegenstand der Darstellung machen.

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 1/2021.


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