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Mit dem Glockenschlag – zu Goethes Geburtstag wurde in Düsseldorf die Ausstellung über Karl Philipp Moritz eröffnet

von Andreas Rumler

„Am 28sten August“, zwar nicht 1749, sondern im Jahr 2022, dafür aber „Mittags mit dem Glockenschlage zwölf“ eröffnete Professor Dr. Christof Wingertszahn als Haus- oder besser Schloss-Herr bei wunderbar sonnigem Wetter das Geburtstags-Sommerfest zum 273. Dichtergeburtstag, zu dem das Goethe-Museum in den Garten des Schlosses Jägerhof geladen hatte. Auch andere Passagen des bekannten Textes stimmten, wie: „Die Konstellation war glücklich.“ Für diese festliche Gelegenheit war man bereit zu vergessen, dass der mangelnde Regen angesichts der Klima-Krise eigentlich weit mehr als nur ein Problem für Landwirte und Hobby-Gärtner darstellt.

Tische und Bänke standen auf dem Rasen um den barock geschwungenen Teich mit den wegen der Sonne erfreulich aktiven Springbrunnen, einige Sonnenschirme ebenso, die Tische edel eingedeckt mit Stofftüchern und Blumen-Arrangements, Gläser waren vorhanden und Mineralwasser, ausgelegte Programme stimmten ein auf die zu erwartenden Genüsse und Vergnügungen. Auch ein ausgesprochen talentiertes Jazz-Trio „Peter Baumgärtner & Friends“ – mit den „Friends“ Marc Brenken und Konstantin Wienstroer – war gekommen und schuf den angemessenen musikalischen Rahmen für einen hochkarätigen Ablauf kultureller Highlights. Sie servierten nicht etwa Tafelmusik als akustischen Background oder variierten bekannte Gassenhauer, sondern improvisierten frei – ein Jazz-Konzert, eigentlich fast zu schade zur Begleitung angeregter Gespräche über Gott und Welt, oder mehrheitlich wohl eben auch über den geistigen Übervater dieser literarischen Gemeinde: Goethe und sein Werk, Bücher und bibliophile Schätze. Und das Trio spielte auf, als ein leichter, angemessen der recht frühen Stunde und unter der Sonne verträglich, Weißwein gereicht wurde und die Catering-Firma Suppen, Brot und verschiedene Kuchen präsentierte.

Christof Wingertszahn ließ es sich nicht nehmen, den geplanten Ablauf zu erläutern und auch kurz die neueste Publikation des Museums vorzustellen: den von Barbara Steingießer herausgegebenen Katalog zur von ihr kuratierten Ausstellung über Friedrich Johann Justin Bertuchs „Journal des Luxus und der Moden“ – es erschien von 1786 bis 1827 und bietet damit ein breites Panorama der kulturellen Entwicklung eines wesentlichen Teils der Goethe-Zeit – unter dem Titel: „Luxus & Lifestyle“. Der großdimensionierte, opulent bebilderte Band mit seinen Essays und Erläuterungen stand aber nicht im Zentrum des Tages. Kurz gesagt ist dieses Buch selbst ein Kunstwerk und wird in seiner gediegenen Gestalt, in Design und Niveau selbst den dort vorgestellten Pretiosen und Bertuchs Anspruch, Geschmack zu entwickeln und zu schulen, unbedingt gerecht. Wir werden später im nächsten Newsletter darauf zurückkommen.

Denn zunächst gehörte die Bühne, genauer: die Freitreppe, Professor Dr. Heinz Rölleke aus Wuppertal, der das Geburtstagskind hochleben ließ und dessen Faible nicht nur für den berühmten „Eilfer“ erläuterte: „Goethe und der Wein“ hieß sein Thema, launig präsentiert und aus der Corona immer wieder mit vergnügtem Lachen quittiert. Wie Goethe seinen „Faust“ bot auch Herr Rölleke seinen Stoff in zwei Teilen an: Wein in Goethes Leben und seine literarische Behandlung im Werk. Klar, dass der Szene in „Auerbachs Keller“ gedacht wurde und nicht nur die Klage der gastfreundlichen Hausfrau der Familie Brentano in Winkel zitiert, in deren gewiss nicht schwächlich bestückte Weinvorräte der berühmte und ob seiner Vorliebe für delikate Rebenprodukte gefürchtete Gast beträchtliche Lücken gerissen haben muss. Goethes Vorfahren hatten mit Weinhandel und Ausschank jenes Vermögen verdient, das bereits seinem Vater ein behagliches Rentier-Dasein erlaubte und von dessen Zinsen auch noch der Weimarer Dichterfürst zehrte.

Ein weiterer Höhepunkt der Geburtstagsfeier sollte die Eröffnung der Ausstellung „Goethes ‚jüngerer Bruder‘: Karl Philipp Moritz (1756-1793)“ sein. Quasi zur Einstimmung und als „Vorspiel auf dem Theater“ dazu las Kilian Ponert vom Düsseldorfer Schauspielhaus mit szenischen Einspielungen Auszüge aus dessen Bericht seiner „Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788“, als Moritz in Rom Goethe begegnete und beide wohl bald erkannten, dass sie, bei allen sozialen Unterschieden, weit mehr verband als nur das Interesse an Stadt und Tiber. Moritz erlitt einen Reitunfall und Goethe pflegte ihn – dabei kamen sie ins Gespräch und entwickelten eine Freundschaft, die wohl in Zügen der späteren Nähe von Goethe und Schiller ähnelte.

Als ausgewiesener Moritz-Experte – er leitete zeitweilig die Arbeitsstelle für die Herausgabe der auf 13 Bände geplanten Kritischen Moritz-Ausgabe an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und hatte sich mit einer Arbeit über Karl Philipp Moritz habilitiert – übernahm Herr Wingertszahn dann wieder den Part nicht nur der Regie und bot – um im „Faust“-Bild zu bleiben – eine ausführliche „Zueignung“, in deren Verlauf er den gemütlich im Garten sitzenden Gästen die Entwicklung der Freundschaft beider Dichter, vor allem aber die sehr schwierige Biografie von Moritz vortrug. Bekannt sind die Grundzüge, dass Moritz sich durch immense Arbeitsbereitschaft aus – modern gesagt – prekären Verhältnissen emporgearbeitet hat.

Wie er aber die extremen religiösen Verirrungen seiner Familie überwand und wie vielfältig die hinterlassenen Werke seine breit gestreuten Fähigkeiten und Interessen als Schauspieler, Redakteur, Pädagoge, Philosoph und Kunsttheoretiker dokumentieren, dürfte den meisten Zuhörern nicht bewusst gewesen sein. Immerhin hatte er während eines Besuchs in Weimar bei Goethe Carl August kennengelernt und ihn in seinem Englisch-Unterricht derart von seinen Qualitäten überzeugen können, dass der Herzog ihn auf einer Reise nach Berlin in seiner Kutsche mitfahren ließ und sich dort dafür einsetzte, dass der Dichter 1789 eine Professur der Theorie der schönen Künste an der Königlichen Akademie der Künste bekam. Als Schüler beeinflusste Moritz unter anderen Ludwig Tieck, Wilhelm Heinrich Wackenroder und Alexander von Humboldt. Auch wurde Moritz 1791 in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen und bekam den Titel eines preußischen Hofrats verliehen. Eine bemerkenswerte Karriere für einen jungen Mann aus sehr bescheidenen Verhältnissen, der als Kind brutale christliche Züchtigungen zu erdulden hatte, daran aber nicht zerbrach, sondern diese Erfahrungen literarisch verarbeitete: im umfangreichen vierteiligen Roman „Anton Reiser“. In der Ausstellung belegen die Abbildungen der vier Titel, welche biografischen Stationen Moritz jeweils im Auge hatte.  

Wenig ist so schwer in Ausstellungen zu präsentieren wie Literatur. Vor diesem Problem stand also auch wieder Herr Wingertszahn, als es um Moritz ging. Um sich nicht auf Stiche und Zeichnungen, alte Ausgaben und Faksimiles beschränken zu müssen, hat er verschiedene Objekte in Szene gesetzt. Bekannt ist das Weimarer Klassiker-Quartett: Wieland, Goethe, Herder und Schiller. Deren Büsten ergänzten sie um eine sehr seltene von Moritz zum Dichter-Quintett. Eher als Gag launiger Art wirkt auf den ersten Blick der Einfall, zu symbolisieren, wie Goethe bei dem bettlägerigen Moritz auf einem Stuhl saß und ihn nach dem Reitunfall pflegte, indem mitten im Erdgeschoss-Saal die Gerippe eines Bettgestells und eines Stuhls zu betrachten sind, Matratze und Sitzfläche fehlen. Was zunächst wie ein Scherz anmutet, hat allerdings den tieferen Grund, dass ein komplettes Bett nicht zu einladend auf vor allem wohl jüngere Besucher wirken sollte.

In guter Gesellschaft: Karl Philipp Moritz (Mitte) inmitten des Dichter-Quartetts (von links) Wieland, Goethe, Schiller und Herder.

Bibliophile Rara sowie Handschriften bietet die Ausstellung und sensationelle Funde wie einen Brief Goethes, der lange als verschollen galt. Auch der dokumentiert eine überraschende Nähe Goethes zur Familie Moritz. Moritz‘ Vater und sein Lehrherr, der Hutmacher Lobenstein, waren Anhänger des fanatischen Quietisten Johann Friedrich von Fleischbein (1700-1774). Der war entfernt mit Goethe verwandt und – lange bevor beide sich in Rom begegneten – Goethe korrespondierte mit ihm 1774. Er wollte Goethe für seinen religiösen Fundamentalismus gewinnen.

Allein, wie bringt man Besucher, gern betrachten sie Bücher und Bilder einer Ausstellung über einen Dichter und dessen Werke, zumal die Exponate hier gut lesbar und ausführlich beschriftet sind, auch noch dazu, seine Texte wirklich zu lesen? Da überliefert ist, dass Moritz seine Bücher in einem Fass aufbewahrte – genau das berichtet übrigens Karl August Varnhagen von Ense auch über Justinus Kerner in Tübingen – findet der Literaturfreund in einer Ecke zwar kein Fass, dafür aber einen breiten Bottich, gefüllt mit aufgerollten und von farbigen Bändern gehaltenen Blättern. Sie bieten drei unterschiedliche Auszüge aus Schriften von Moritz, wie seine Betrachtungen über „Das Buch“. Man verdanke diesen Druckwerken „daß der Mund der Gestorbenen noch immer zu uns redet, und wir die hinterlassenen Schätze ihres Geistes besitzen.“ Wie wahr! Ermutigt durch Herrn Wingertszahn griffen die Teilnehmer der Führung gern zu und bald sah man sie in die Rollen vertieft wie in ägyptische Papyri. Goethe und seinem jüngeren Bruder h.c. Moritz, an der Antike interessiert und von ihr begeistert, wie sie beide waren, hätte dieses Bild sicher gefallen.

Die Sonderausstellung „Goethes ‚jüngerer Bruder‘: Karl Philipp Moritz (1756-1793)“ im Goethe-Museum Düsseldorf können Sie noch bis 30.10.2022 besuchen.


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