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Kurios Gereimtes

von Jochen Golz

„Wenn sich der Most auch ganz absurd gebärdet, / Es gibt zuletzt doch noch e‘ Wein“. Mit diesem Mephisto-Wort mag sich schon mancher Poet am Anfang seiner Laufbahn getröstet haben. Ob Claudia J. Schulze, promovierte Literaturwissenschaftlerin und Autorin eines Theaterstücks mit dem Titel „Fiebernacht. Goethe in Rom“, vorher schon eine „Most“-Phase durchgestanden hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Doch ob hier die literarische Metamorphose vom Most zum Wein, vom Unvergorenen zum Gehaltvoll-Vergorenen, gelungen ist, möchte ich zumindest bezweifeln.

Was wir vor uns haben, ist eine gereimte Phantasmagorie um Goethes Aufenthalt in Rom. Doch bevor wir die fünf Akte lesen können, haben wir vorher eine Einleitung (in Deutsch und Italienisch), einen Kommentar, eine Inhaltsangabe und eine Vorgeschichte hinter uns zu bringen. Dass einem Drama eine Erläuterung durch die Autorin vorangestellt wird, ist zumindest ungewöhnlich. Hat sie so wenig Vertrauen zum eigenen Text? Auch der in fünf Akte gegliederte Text selbst wird mehr als einmal durch kommentierende Einlassungen unterbrochen, die über den Charakter von Regiebemerkungen weit hinausgehen.

Der Rezensent gesteht, dass er sich den Gehalt des Dramas mühsam zusammenreimen musste. Auch eine unter Reimzwang leidende Sprache von seltsam altmodischer Künstlichkeit leistet dabei keine Hilfe. Dem Titelhelden naht sich die Versuchung in Gestalt zweiter Totengeister, die Lemur und Larva heißen. Während Lemur wie eine Art Mephisto agiert, will Larva Goethe den Weg zur rechten Liebe (zunächst zur Römerin Margarita, später zur Alt-Römerin Domitalla) weisen. Als Goethe sich auf einen Pakt mit den Geistern einlässt – „Faust“ lässt grüßen –, ergreift er zum ersten Mal das Wort: „Ich tu’s, doch haltet den Vertrag! / Hinweise man mir geben mag. / Trotzdem, das wisst Ihr selbst am besten, / Wird mich dieser Pakt wohl testen.“ Und so weiter. Goethe, bei seiner Ankunft in Rom immerhin schon 36 Jahre alt, wird stets als „junger Dichter“, der Reimnot gehorchend einige Male auch als „Dichterlein“ apostrophiert, dessen Innenleben sich in nächtlichen Monologen zu erkennen gibt. Für die Autorin führt er in Rom ein rechtes Lotterleben. Goethe erscheint als egozentrischer Erotomane, der sich mehr als einmal „in wilder Lust“ wälzen möchte. Zum dramatischen Personal gesellen sich noch der römische Kaiser Vespasian und seine zweite Gemahlin Domitalla, die sich in einem „Garten der Nachtigallen“ ein Stelldichein geben. Domitalla oder Margarita, das ist für Goethe die Frage. Aus seiner Fiebertraumwelt wird er am Ende in unsere Gegenwart hineingerissen, selbst ein Aufenthalt in der römischen U-Bahn bleibt ihm nicht erspart. Ein Epilog der Totengeister beschließt das Ganze.

Was bleibt? Eine Grundsympathie für den Autor Goethe, in den begleitenden Texten wie im Stück selbst wahrzunehmen, ein Faible für Rom und die Casa di Goethe, die allerdings mit der verunglückten Widmung „Für das Casa di Goethe in Rom“ bedacht wird. Dem Titelhelden wird zugestanden, aller handfesten erotischen Verwirrungen zum Trotz mit einem römischer Liebesqual abgerungenen Werk etwas Unvergängliches erreicht zu haben – im Sieg über das Vergängliche, hier die Geister aus dem Totenreich der Geschichte. Auch sei er ein „Vorkutscher“ (S. 19) der Globalisierung gewesen. Von einem wirklichen dramatischen Geschehen mag man nur ungern sprechen, denn weder besitzen die Figuren ein charakterliches Profil noch treten sie in einen wirklichen dramatischen Dialog ein; Bekundung reiht sich an Bekundung, wir haben eher ein Wort-Oratorium vor uns. Das Werk ist als Book on Demand in die Welt gesetzt worden und liegt schon in der dritten Auflage vor – was allerdings bei diesem Verfahren wenig besagen will. Gleichwohl ist es verwunderlich genug. Goethes Reich ist groß, ist man am Ende versucht zu sagen und möchte noch anmerken, dass die Illustrationen eines jungen tunesischen Künstlers den Text angenehm auflockern.

Claudia J. Schulze
Fiebertraum. Goethe in Rom
Theaterstück in 5 Akten

Norderstedt 2020 (dritte Auflage)
192 S.
ISBN: 978-3-752-84065-0

Preis: 8,90 €

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 5/2020.


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