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Brauchen wir eine Kurzfassung von Goethes Schauspiel „Iphigenie auf Tauris“? Zu einem Büchlein des südafrikanischen Germanisten Ulrich Klingmann

von Jochen Golz

Ein auf den ersten Blick ungewöhnliches kleines Buch ist anzuzeigen. Ulrich Klingmann, ein im Ruhestand lebender Germanist aus Kapstadt, selbst mit Goethe-Publikationen hervorgetreten, legt eine Kurzfassung der „Iphigenie“ vor, über deren Intentionen er in einer knappen Vorbemerkung Rechenschaft ablegt. Gedacht ist dieser Text als „Versuch zu einem Libretto“ (S. 6); im Klappentext wird die Hoffnung deklariert, „die Oper dazu irgendwann noch auf der Bühne zu hören“.

Richten wir unseren Blick zunächst auf den Text selbst. Sorgfältig beschreibt Klingmann sein Vorgehen; 442 von insgesamt 2174 Versen habe er in seine Version aufgenommen, 347 Verse entsprächen dem Original, 46 Verse seien gekürzt und mit Sternchen gekennzeichnet. Überdies hat er einige kleine Umstellungen vorgenommen. Im Text selbst ist durch marginal gesetzte Ziffern markiert, welche Verse konkret wiedergegeben werden und welche fehlen. Was wir in dieser Hinsicht vor uns haben, ist die rigoros gekürzte Fassung für eine Bühne, die ein so radikales Experiment auf sich nähme. Ergänzt wird sie durch eine „Einleitende Zusammenfassung“, die das Stück Szene für Szene dramaturgisch schlüssig beschreibt.

Was ist nun das Besondere an diesem Versuch? Es ist seine Zweisprachigkeit. „Zusammenfassung“ und Text sind auf Deutsch und Englisch wiedergegeben – links die englische, rechts die deutsche Version. Ob und wie die englische Übersetzung gelungen ist, mögen Kundigere beurteilen, ob eine bereits vorliegende Version herangezogen wurde, entzieht sich meiner Kenntnis, bildet aber kein entscheidendes Kriterium. Anerkennung verdient dieser Versuch aber in jedem Falle. Man kann bezweifeln, ob Klingmanns Hoffnung auf eine Vertonung seiner Kurzfassung in Erfüllung gehen wird. Was er einleitend in wenigen Sätzen zu seinem Konzept anmerkt, verdient Respekt. Bedenkens- und anwendungswert scheint mir seine Texteinrichtung noch in anderer Hinsicht. Glücklicherweise erfreut sich Goethe in der englischsprachigen Welt – auch auf dem indischen Subkontinent, wo Englisch immer noch die Lingua franca der Gebildeten darstellt – einiger Anerkennung. Für Schüler und Studenten, deren Beschäftigung mit Goethe erst beginnt, könnte das Studium von Klingmanns Fassung einen Anfang bedeuten. Besieht man sich ‚seinen‘ Text genauer, so ist eine wohlüberlegte Sorgfalt bei dessen Einrichtung nicht zu verkennen. Im schulischen und akademischen Unterricht in der englischsprachigen Welt, aber auch in den weltweit agierenden Goethe-Instituten könnte Klingmanns Büchlein zur Anwendung kommen. Letzteren, aber auch all denen, die sich für eine weltweite Goethe-Rezeption engagieren, sei es zur Lektüre und praktischen Handhabung empfohlen.

(c) R. G. Fischer Verlag

Ulrich Klingmann
Kleines Buch zu Goethes Iphigenie auf Tauris.
Zum Lesen – zum Spielen.
Deutsch/Englisch

Frankfurt am Main 2022
61 Seiten
ISBN 978-3-8301-9508-5

Preis: 9,90 €


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