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Aus dem Leben der Goethe-Gesellschaft, Vermischtes

Hans Stellmacher – ein stürmischer Menschenfreund

von Jochen Golz

Soll man von Hans Stellmacher reden? Ja, man soll es tun, weil sein Beispiel, um einen Weimarer Klassiker zu zitieren, Nachahmung wecken könnte.

Als Hans Stellmacher, in Itzehoe wohnend, sich Goethe näherte, lagen Jahre gelebten Lebens schon hinter ihm. Einfach war sein Weg nicht gewesen. Den Beruf des Krankenpflegers hatte er erlernt, die Bundesmarine hatte ihn bei sich gesehen, im Judosport hatte er sich hervorgetan; als ich einmal bei ihm zu Gast war, wies er mich nicht ohne Stolz darauf hin. Dann aber, in der Mitte des Lebens, nahm der Krebs von ihm Besitz. Zwar gelang wie durch ein Wunder die Heilung, doch sie ließ ihn in einer niederdrückenden Verfassung zurück. Im geliebten Beruf nicht mehr tätig, zurückgeworfen auf sich selbst, versank er in ein depressives, dumpfes Grübeln. Rat kam von seinen Ärzten. „Sie sagten mir“, so Stellmacher einer Journalistin gegenüber, „Ihre Frau arbeitet acht Stunden und Sie sitzen zu Hause […], suchen Sie sich etwas.“

So begann das zweite Leben des Hans Stellmacher. In seinen Jahren als Krankenpfleger hatte er oft menschliches Leid sehen müssen; jetzt nahm er sich vor, diesem Leid mit praktischem Engagement zu begegnen. Aus seinem persönlichen Besitz spendete er Gegenstände an das Lüneburger Waisenhaus. Als die Sowjetunion zusammenbrach und der desolate Zustand der Krankenhäuser in ihren Nachfolgestaaten offenbar wurde, war für Stellmacher der Augenblick eines Handelns in größeren Dimensionen gekommen. Er organisierte Hilfstransporte vor allem in die baltischen Staaten. Auf diese Weise fanden Röntgengeräte, Dialysemaschinen, OP-Tische und Patientenbetten den Weg nach Osten. Stellmachers Handeln ist stets eine Synthese aus ebenso selbstlosem wie leidenschaftlichem Einsatz und einer Aktionsbereitschaft, die zuweilen anarchisch anmutet, dank ihrer Uneigennützigkeit aber den angesprochenen Partner überzeugt und mitreißt. Welcher Krankenhausdirektor kann einen Einwand erheben, wenn Stellmacher ihn auf Grund genauerer örtlicher Kenntnisse bittet, die in seinem Haus nicht mehr benötigten Geräte einem guten humanitären Zweck zuzuführen. Bei all seinen Aktionen kann er sich des Zuspruchs seiner Frau Helga gewiss sein; sie gibt ihm die Kraft, sich auch in schwierigen Situationen zu behaupten. Leitbild für ihn war das Ethos Albert Schweitzers, in dem sich christlicher Glaube als praktischer Dienst am Nächsten überall in der Welt manifestiert. Jahrzehnte zuvor war Schweitzer für sein Handeln nicht zuletzt im Geiste Goethes mit dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt bedacht worden.

Die Oberbürgermeisterin von Lüneburg, Claudia Kalisch, Hans Stellmacher und Thomas Lux, der Leiter der Ratsbücherei und des Lüneburger Stadtarchivs, bei der Einweihung der Gedenkstätte der Weimarer und Eutiner Klassik in der Ratsbücherei Lüneburg. (Foto: Laura Treffenfeld)

Seine Verehrung des Arztes von Lambarene, die sich mit praktischem Engagement verbunden hat, war für Hans Stellmacher eine Brücke zu Goethe, dessen Werk er sich in seinem dritten Leben seit nunmehr 25 Jahren widmet. „Der Geist, aus dem wir handeln, ist das Höchste“, dieser Maxime aus „Wilhelm Meisters Lehrjahren“ fühlt er sich verpflichtet. In einem Beieinander von strategischer Weitsicht und zupackendem Handeln hat er ein geistiges Koordinatensystem über norddeutsche Gefilde gespannt, in Schulen, Bibliotheken, Archiven und städtischen Zentren ‚Goethe-Punkte‘ geschaffen. Was ihn in seinem zweiten Leben hilfsbereite Partner und Freunde gewinnen ließ, kam ihm auch in seinem dritten zugute: Selbstlosigkeit, gepaart mit der Bereitschaft, in finanziellen Dingen mit beträchtlichem guten Beispiel voranzugehen. Das oft zu hörende Wort ‚Netzwerker‘, für Hans Stellmacher ist es am rechten Platz. All dies wäre nicht möglich gewesen, wenn er nicht in Itzehoe und weit darüber hinaus Menschen gefunden hätte, denen er durch sein Beispiel das Herz für humanitäres Wirken weiter aufgeschlossen hätte. Der ehemalige schleswig-holsteinische Landtagspräsident Keyenburg ist darunter, aber auch Bürgermeister von Städten und Gemeinden, so die Oberbürgermeisterin von Lüneburg – Stellmachers Geburtsstadt, mit der er, mittlerweile 76 Jahre alt, besonders verbunden ist. Über dreihundert Bildungseinrichtungen hat er ins Leben gerufen, genannt seien darunter nur die Städte Itzehoe, Eutin, Glückstadt, Wilster, Flensburg und Kellinghusen, die Metropolen Kiel und Hamburg, das Elbeforum Brunsbüttel, Gymnasien und Waldorf-Schulen an weiteren Orten; in einigen Städten haben die Bürgermeister eine Patenschaft übernommen. All diesen Zentren hat Stellmacher Goethe-Ausgaben, Goethe-Büsten, Bildbände, Tonaufnahmen und andere Dokumente zur Verfügung gestellt, Bildungsgut in einem weiten Sinne und Ausgangspunkt für Erkundungen in der klassischen Kultur je nach Bedarf und Leidenschaft. Ermöglicht hat er dies teils durch Finanzierung aus eigener Tasche, teils durch Spenden, die ihm bereitwillig – auch von der Goethe-Gesellschaft und vom Schillerverein Weimar-Jena, um nur diese zu nennen – zur Verfügung gestellt wurden. Zwischen Weimar und Itzehoe hat er ein geistiges Band geknüpft, das Bestand haben wird. „Goethe verweilt jetzt in Lüneburg“, so hat die Landeszeitung für die Lüneburger Heide am 10. September 2022 ein Porträt Hans Stellmachers überschrieben. Hohe staatliche Auszeichnungen sind ihm zuteilgeworden. In unserem Newsletter gebührt ihm ein Ehrenplatz.

Den Artikel aus der Landeszeitung finden Sie hier:


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