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Aus dem Leben der Goethe-Gesellschaft, Interview

Vorstandsmitglieder im Portrait: Prof. Dr. Stefan Matuschek


Wie kamen Sie zu Goethe und zur Goethe-Gesellschaft?

Zu Goethe kam ich durch die Schule und insbesondere die „Tasso“-Lektüre – das Stück passt offenbar gut in die Pubertät –, zur Goethe-Gesellschaft durch einen Anruf aus dem Vorstand. Er fragte mich, ob ich mitmachen könne. Weitere persönliche Gespräche haben mich dann hinein geführt.

Ist Goethe noch aktuell oder eher ein Gegenstand für die Wissenschaft und das Museum?

Goethe ist ein Klassiker, seine Präsenz ist unberührt von den Wechseln des jeweils Aktuellen. Aktualität ist für die Beschäftigung mit seinem Werk eine eher unwichtige Kategorie. Mal ist dies, mal ist jenes daraus aktuell oder nicht mehr aktuell. Das hat für den Klassikerstatus wenig zu bedeuten. Hier kommt es darauf an, dass seine Beispiele noch immer brauchbar und ansprechend sind, um eine Anschauung zu haben von den verschiedenen Möglichkeiten der Literatur. Diese Brauchbarkeit sehe ich, in der Schule wie der Liebhaberlektüre. Ein Gegenstand für die Wissenschaft und das Museum ist dieses Werk auf jeden Fall auch; ein wichtiger sogar. Aber nicht nur dafür. 

Goethe war Dichter, Wissenschaftler und Politiker – ist eine solche Vielseitigkeit heute denkbar oder gar wünschenswert?

Denkbar auf jeden Fall, ob wünschenswert, hängt von den jeweiligen Individuen ab. Dass Dichter oder Wissenschaftler nicht per se die besseren Politiker sind, hat sich zur Genüge gezeigt, im Jugoslawienkrieg zuletzt in krasser Weise. Umgekehrt machen politische oder wissenschaftliche Expertise auch keine bessere Literatur. Wichtig ist, dass sich die verschiedenen Professionen und Fähigkeiten unter den Menschen nicht in gegenseitige Verständnislosigkeit separieren. Dafür muss man gesellschaftlich sorgen. Ob sich in Individuen etwas davon überschneidet, ist dagegen nicht so wichtig.

Welche Eigenschaften Goethes sagen Ihnen am meisten zu?

Als erstes seine Fähigkeiten, Literatur zu verfassen; danach seine internationale Orientierung und seine Nonchalance gegenüber dem nur Theoretischen.

Welche Werke Goethes stehen Ihnen besonders nahe?

Beruflich habe ich mich am meisten mit „Faust“ befasst. Beim gelegentlichen Nachblättern lese ich mich derzeit am häufigsten, zu meiner eigenen Überraschung, in „Dichtung und Wahrheit“ fest. Mein augenblicklicher Favorit ist Goethes Replik auf Manzonis Napoleon-Ode (aus dem Nachlass, „Am jüngsten Tag, vor Gottes Thron,/ stand endlich Held Napoleon…“). Das ist die brillanteste literarische Parodie, die ich kenne.

Gibt es Autoren, die Sie in gleicher Weise beeindrucken?

Ja, viele. 

Welche Funktionen kann oder soll die Literatur aus Vergangenheit und Gegenwart heute haben?

Literatur schafft mit dem geringsten technischen Aufwand den größten Reichtum an Parallelwelten zu unserer Wirklichkeit. Nichts finde ich anregender und wenig finde ich lehrreicher, als sich in sie zu versetzen. Literatur simuliert mögliche und unmögliche menschliche Lebenswelten. Sie können uns nah, spannungsvoll nah und auch räumlich oder zeitlich fern sein. In ein paar hundert Gramm Papier hat man experimentell andere Weltansichten und -erfahrungen. Sie bewahren uns vor der Betriebsblindheit der eigenen Gewohnheiten.

Weimar ist Sitz der weltweit tätigen Goethe-Gesellschaft; was verbindet Sie mit dieser Stadt?

Sie bildet zusammen mit meinem Berufsort Jena eine wunderbare Einheit. Viele meiner Kolleginnen und Kollegen wohnen dort. Zugleich ist es der Sitz der Klassik Stiftung, der ich lange Jahre als wissenschaftlicher Beirat verbunden war. Das waren sehr schöne Erfahrungen, in der Sache wie in den persönlichen Begegnungen. Durch die Goethe-Gesellschaft bleibt diese Verbindung lebendig. Das Stadtschloss ist eine so schöne Adresse, dass man sich freut, es regelmäßig aufsuchen zu müssen.

Wie möchten Sie die Goethe-Gesellschaft mitgestalten?

So, dass es nicht nur mir, sondern auch vielen anderen eine Freude ist, dabei zu sein.

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 2/2020.


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