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Goethe weltweit, Interview

Stipendiatinnen im Gespräch: Dr. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann


Frau Dr. Tabarasi-Hoffmann, tätig an der rumänischen Akademie der Wissenschaften in Bukarest, hat sich in Weimar drei Monate lang einer besonders reizvollen Aufgabe gewidmet, der Kommentierung einer Übersetzung ins Rumänische von Goethes „West-östlichem Divan“.

Wie haben Sie selbst zur deutschen Kultur gefunden, welche Einflüsse haben eine besondere Rolle gespielt?

Da meine Familie teils siebenbürgisch-sächsisch, teils rumänisch ist, bin ich zweisprachig aufgewachsen. Ich fasse Identität als etwas Vielfältiges, Wandelbares und immer neu zu Erarbeitendes auf, und meine Prägung durch die deutsche Kultur ist ein Teil meiner Identität, mit dem ich mich immer wieder neu auseinandersetze. 

Der Besuch einer deutschen Schule in Bukarest sowie, nach der Wende, eines altsprachlichen Gymnasiums in Wien haben mein Wissen über die deutsche Kultur strukturiert. Später studierte ich Philosophie an der Universität Bukarest, wo die Geschichte der deutschen Philosophie eine zentrale Rolle einnahm. Die Seminare, in denen wir Martin Heidegger aus dem Deutschen übersetzten, waren und bleiben wohl in der Universitätslandschaft einmalig und haben eine ganze neue Übersetzergeneration hervorgebracht. Auch ich habe seitdem mehrere Bände aus dem Deutschen übersetzt. Mich zogen damals allerdings vor allem die Lehrveranstaltungen über den deutschen Idealismus und über die Romantik an; meine Abschlussarbeit beschäftigte sich mit Friedrich Schlegel und Goethe. Später studierte ich Germanistik und Anglistik an der Universität Roskilde (Dänemark); dies hat die nötige Metaebene hinzugefügt, um auch über die deutsche Literatur zu arbeiten, und hat meine sozial- und diskurshistorisch orientierte Arbeitsweise entscheidend geprägt. Aus meiner Begeisterung für Joseph von Eichendorff entstand meine Dissertation über den Landschaftsgarten als Lebensmodell in der englischen, französischen und deutschen Literatur. Auch hier konnte Goethe nicht fehlen, da er sich vielfach mit der sogenannten „Gartenrevolution“ (der Wandlung vom Barockgarten zum Landschaftsgarten) auseinandergesetzt hat. Eine zweite, philosophische Dissertation beschäftigte sich mit S. Kierkegaards Romantikkritik und konnte Goethe ebenfalls nicht umgehen, da Kierkegaard diesen als Vertreter der „beherrschten Ironie“ den Romantikern entgegensetzt.

Wie haben Sie das Thema für Ihre wissenschaftliche Arbeit gefunden?

Meine Eltern haben Orientalistik studiert, sie übersetzten aus dem Arabischen und Persischen. So habe ich recht früh von der Geschichte der ost-westlichen Kulturkontakte gehört, und Goethes „West-östlicher Divan“ sowie die kongenialen Übersetzungen Friedrich Rückerts wurden oft genannt. Nach meinem Studium hatte ich Gelegenheit, selbst Auszüge dieser Texte im Unterricht zu behandeln. Als ich später Arabisch zu lernen begann, faszinierten mich die Dimensionen dieser Kulturbegegnung zunehmend, und ich bedauerte, dass es gerade vom „West-östlichen Divan“, der in Rumänien bereits im 19. Jahrhundert im Original rezipiert worden war, noch keine vollständige Übersetzung gab. Denn gerade die Begegnung von Orient und Okzident war auch für die Geschichte Rumäniens prägend, so dass das Interesse für diese Thematik immer vorhanden war. So ergriff ich gerne die Gelegenheit, zusammen mit Grete Tartler den „Divan“ und die „Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-östlichen Divans“ zu übersetzen, denn bei der genauen Lektüre, die eine Übersetzung darstellt, lernt man am allermeisten über das Werk, nicht zuletzt über den Zusammenhang von Form und Inhalt.

Was wussten Sie von Weimar, bevor Sie die Stadt kennengelernt haben? Was wussten Sie über die Goethe-Gesellschaft?

Wie viele andere assoziierte ich anfangs Weimar vor allem mit der deutschen Klassik; später kam das Wissen um die Weimarer Republik hinzu, und auch Buchenwald wurde Teil meines Weimarbildes. Meine ersten, kurzen Besuche galten freilich im Jahre 2000 insbesondere Goethe und dem Ilmpark, denen ich ein Kapitel meiner Dissertation widmete. Das Bewusstsein der historischen Ambivalenz Weimars ist aber kein Hindernis, Goethes „Ich bin Weltbewohner; / Bin Weimaraner” immer noch (oder wieder) auf die Stadt zu beziehen. Dazu trägt die Goethe-Gesellschaft bei, die ich seit vielen Jahren, nicht zuletzt von mehreren Generationen rumänischer Goethe-Übersetzer, mit Dank und Bewunderung genannt hörte.

Wie beurteilen Sie den Verlauf Ihrer Studien in Weimar; gibt es Wünsche, bei deren Erfüllung die Goethe-Gesellschaft helfen kann?

Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek ist trotz Pandemie ein Arbeitsort, der nichts zu wünschen übriglässt, so dass ich mit dem Kommentar der rumänischen Übersetzung des „West-östlichen Divans“ sehr gut vorankommen konnte. Auch die Diskussionen mit Prof. Golz und Prof. Matuschek gaben mir sehr viele Hinweise, die mir weitergeholfen haben. Herzlichen Dank dafür!

Wie ist Ihr aktueller Eindruck von Deutschland allgemein, ist Ihnen etwas Besonderes aufgefallen, im guten wie im weniger guten Sinne?

Aktuell ist alles durch die Coronapandemie verändert; natürlich vermisse ich den Zugang zu den Museen, die Vorträge, Theateraufführungen, Konzerte und insgesamt das rege kulturelle Leben Weimars, das ich während meiner Kurzbesuche vor vielen Jahren, nicht zuletzt bei einer Goethe-Geburtstagsfeier, beobachten konnte. Doch für Kulturhistoriker ist es auch schon bereichernd und spannend, wenn sie zusätzlich zu den Bibliotheksbesuchen die Straßen, Parks, Kirchen und Friedhöfe Weimars durchstreifen können. Außerdem wurde mir immer mit großer Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit begegnet, so dass ich mich nur wohlfühlen konnte. Ich hoffe, in besseren Zeiten zurückzukehren!

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 2/2021.


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