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Ortsvereinigungen

10 Jahre Goethe-Gesellschaft Mannheim Rhein-Neckar e.V.

von Jens Bortloff

Die Gründung und das 10-jährige Jubiläum der Goethe-Gesellschaft Mannheim Rhein-Neckar e. V. werden gleichsam von einem gemeinsamen Datum umrahmt, nämlich dem 22. März, bekanntlich dem Todestag Goethes. Feierlich begangen wurde die Gründung am 22. März 2010 und ähnlich gefeiert werden sollte am 22. März 2020, was leider wegen der Coronavirus-Pandemie nicht möglich war.

Der damalige Präsident, heute Vizepräsident der Weimarer Goethe-Gesellschaft, Prof. Dr. Jochen Golz, hielt ein Grußwort bei der Gründungsfeier 2010
Gründungsfeier am 22.3.2010

2010 waren es die Mannheimer, die der zentralen Weimarer Goethe-Gesellschaft gleichsam zu ihrem 125-jährigen Bestehen ein Jubiläumsgeschenk machten, indem sie die damals 60. Ortsvereinigung aus der Taufe hoben. Es gab in der Quadratestadt zuvor noch keine lokale Goethe-Ortsvereinigung, obwohl die ‚Hauptstadt‘ der ehemaligen Kurpfalz – heute die Rhein-Neckar-Metropolregion – eine historisch nicht unbedeutende Kulturstadt war und noch ist. Vielleicht überstrahlt in Mannheim die Figur Schillers den Dichterfreund Goethe, sicherlich verständlich wegen der bedeutsamen Rolle des Hof- und Nationaltheaters für die deutschlandweite Karriere des Marbacher Dichters. Deshalb war es durchaus sinnvoll, dass die Goethe-Gesellschaft die Bedeutung Mannheims für Goethe und Goethes für Mannheim durch die Initiierung des Buchs im Westentaschenformat mit dem Titel „Goethe in Mannheim“ herausstellte (Morio-Verlag, 2018; siehe auch: Newsletter der Goethe-Gesellschaft in Weimar, Ausgabe 2/ 2018, S. 11 – 13). Maßgeblich waren dabei die Zweite Vorsitzende, Liselotte Homering, der in vielerlei Hinsicht das Zustandekommen und Gelingen des Buchs zu verdanken ist, und natürlich der Autor, Dr. Hanspeter Rings, Stadthistoriker und Kurator beim MARCHIVUM – Mannheims Haus der Stadtgeschichte und Erinnerung – sowie Vorstandsmitglied, der dabei bereits auf eigene Forschung und entsprechende Zeitschriftenbeiträge zurückgreifen konnte.

Goethe hielt sich acht Mal in Mannheim auf, traf dort bedeutende Persönlichkeiten, schätzte das Nationaltheater und die Gemälde- und Naturaliensammlung im Residenzschloss sowie nicht zuletzt den Antikensaal. Zu diesem „eilte“ er Straßburg verlassend „mit größter Begierde“, ließ „den Wald von Statuen“ auf sich wirken. „Ganz unschätzbare“ Eindrücke gewann er dort für sein späteres Leben („Dichtung und Wahrheit“, 3. Teil, 11. Buch).

Zurück zum Heute: Auch über das Kalendarische hinaus ist das oben erwähnte Datum in gewisser Weise signifikant für die Programmatik der Mannheimer Goethe-Gesellschaft, und wohl auch der meisten Goethe-Gesellschaften, nämlich zu zeigen, wie lohnenswert es ist, sich heute mit Goethe zu beschäftigen, obwohl er schon seit 188 Jahren tot ist. Wir folgen gern Hilmar Hoffmann, der zum Goethe-Jubiläum 1999 feststellte: „Indem wir heute nach Gültigem bei den Klassikern fragen, aktualisieren wir sie für die Gegenwart“.

„Goethe_heute“ ist dann auch der Name, unter dem die Mannheimer Ortsvereinigung versucht, bei Instagram und Twitter (jeweils rund 100 Abonnenten seit November 2018 bzw. 2019, Tendenz stets steigend) für diesen Gedanken zu werben. Freilich gewinnt man in der Regel mit diesen Instrumenten keine neuen Mitglieder, jedoch sollen Bekanntheit und Anliegen so gefördert werden. Zur Mitgliedergewinnung und -bindung ist die persönliche Begegnung wichtig, die in Mannheim wie anderswo mit Vorträgen, Rezitationen, Exkursionen und Mitgliedertreffen mit Gästen ermöglicht wird.

Dabei bleibt die Gesellschaft nicht stets im geschlossenen Raum, sondern sucht das Publikum dort, wo es sich befindet, nämlich im öffentlichen Raum, sei es auf dem Paradeplatz in der City, auf der Uferpromenade des Rheins oder, besonders erfolgreich, an der Neckarfähre in Neckarhausen südlich von Mannheim, aus Goethes „Märchen“ Anfangssätze rezitierend, in denen es um einen Fährmann und einen übersetzenden Kahn geht.Seit 2012 schenkt die Goethe-Gesellschaft Mannheim Rhein-Neckar jährlich über 100 Schülerinnen und Schülern dreier Schulen das Erlebnis, Goethe und seinen „Faust“ kennenzulernen. Das Erzähltheater von Silvia Schopf, Autorin und Schauspielerin aus Frankfurt am Main, namens „Faust – ein teuflisches Spiel“ fesselt stets die Aufmerksamkeit von 4. und 5. Schulklassen und sorgt danach für interessante Fragen und anregende Diskussion. Eine von einer Grundschule vorgenommene Evaluation bestätigt die Qualität und Wirksamkeit. Die jährlichen Wiederholungen für jeden Schuljahrgang, die die Schulen stets nachfragen, bestätigen dies. Gefördert wird all dies durch die Heinrich-Vetter-Stiftung in Ilvesheim.

Rezitation an der Neckarfähre, August 2011
„Faust – ein teuflisches Spiel“

Neben diesem sieht die Mannheimer Goethe-Gesellschaft ihren weiteren Schwerpunkt darin, die Brückenfunktion, die Goethe zwischen Nichtmuslimen und Muslimen einnehmen kann, herauszustellen und zu nutzen. Dafür gibt es eine Zusammenarbeit mit dem Mannheimer Institut für Integration und interreligiösen Dialog. Besonders beeindruckend und lehrreich war 2017 der Erfahrungsbericht von Samet Er, der als islamischer Theologe (Universität Tübingen) und „Germanist im Herzen“ von seinen beruflichen Erfahrungen als Deradikalisierungsberater in niedersächsischen Justizvollzugsanstalten berichtete, bei denen die Person Goethes nicht unbedeutend ist.

Erst seit einigen Jahren gewinnt schließlich ein dritter Aspekt angesichts der jüngsten gesellschaftlichen, aber auch technischen Entwicklungen immer größere Bedeutung: Ambiguität zu erkennen und anzuerkennen und Differenzierungen zuzulassen. Auch hierzu bietet Goethe reiche Orientierung. Dies ist wichtig sowohl für die politische Diskussion als auch für die Welt der Digitalität. „Daher wollen wir den sog. ‚Dichterfürsten‘ vom hohen Denkmalsockel – auf dem wir seine Skulptur freilich sehr gern stehen sehen – herunterholen und zu denen bringen, die ihn schätzen, aber auch zu all jenen, die ihn noch nicht ausreichend kennen.“ So habe ich – als Vorsitzender der 60. lokalen Goethe-Gesellschaft 2010 – den ausdrücklich offenen Mannheimer Ansatz begründet und so ist er noch heute. Hoffentlich noch viele Jahre.

Dieser Artikel erschien zuerst im Newsletter der Goethe-Gesellschaft, Ausgabe 2/2020.


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