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Goethe und Merck – Martin Demmlers „Geschichte einer Freundschaft“

von Andreas Rumler

Johann Heinrich Merck war einer von Goethes wichtigsten und interessantesten, zunächst aber auch hilfreichsten Freunden jener frühen Zeit, als der sich, ein aufstrebender Autor, um Anerkennung bemühte. Wenige Jahre älter, war der Darmstädter Merck vielseitig gebildet und literarisch aktiv als Verleger, Schriftsteller, Übersetzer und Kritiker, später auch als Naturwissenschaftler. Er liebte es, pointiert, mitunter verletzend zu formulieren, war bestens vernetzt, pflegte vielfältige Kontakte in der literarischen Szene. Als Beide sich begegnen, stellen sie schnell fest, dass sie ähnliche Interessen und Ziele verfolgen. Rasch entwickelt sich ein enges Bündnis zweier Literaten, von dem beide profitieren.

Goethes erste Publikationen kamen im Selbstverlag heraus und wurden bei Merck gedruckt. Der ermutigte ihn, dort seinen „Götz“ 1773 erscheinen zu lassen, ohne daran länger zu feilen. Seit den Straßburger Tagen im Sommer 1770 hatte Goethe daran gearbeitet. Der Autor übernahm die Papierkosten, damit das Werk – anonym noch – erscheinen konnte. Das Echo war gewaltig, zwei Raubdrucke – bei einem Helden dieses Kalibers eigentlich naheliegend – zeugen vom lebhaften Interesse des Publikums. Auch wenn das Stück in der Tradition Shakespeares als Lesedrama verstanden wurde, brachte es Kochs Theatertruppe 1774 in Berlin zur Uraufführung, eine Inszenierung in Hamburg folgte. Angespornt von diesen Anerkennungen weiten Beide ihre Zusammenarbeit aus.

Auf den Erfolg des „Werther“ 1774 und vor allem die Kritik daran reagiert Merck mit der „Künstlerromanze“ in Versen „Pätus und Arria“ und verspottet „vor allem das Verbot des Buchs durch die Stadt Leipzig. In Nicolais ‚Allgemeiner Deutschen Bibliothek‘ heißt es darüber: ‚Das Gedicht würde auch Herrn Goethe eben keine Schande machen‘“ (S. 72). Merck publiziert seinen Text im Frühjahr 1775 in Wielands „Teutschem Merkur“ zusammen mit einer Elegie in gereimten Versen „Lotte bey Werhers Grabe“ (S. 76).

Weitgehend chronologisch rekapituliert Martin Demmler ihr gemeinsames Wirken als „Geschichte einer Freundschaft“ und zitiert ein Schreiben Goethes an Herder: „Wir bespiegeln uns in einander“ (S. 44). Damals feiert Goethe euphorisch die Harmonie des Anfangs: Wir „lehnen uns aneinander und theilen Freud und Langeweile auf dieser Lebensbahn“ (S. 44). Merck kann dem Freund ein verlockendes Angebot unterbreiten: die Mitarbeit in den „Frankfurter Gelehrten Anzeigen“, er hat deren Redaktion übernommen. Durch den Stil fällt das Blatt auf: „Witzig, polemisch, aber auch frech und provokant“ (S. 53), fasst Demmler den Charakter der Texte von Goethes Schwager Schlosser, Herder, Merck und Goethe zusammen: „Das ist Sturm und Drang pur“ (S. 54). Merck wolle vor allem sehen, „wie der Staub von den Peruquen der Kahlköpfe fliegt“ (S. 54). Anonym erscheinen die Artikel, oft auch im Team verfasst: Der „freche, süffisante Ton wird bald zum Markenzeichen“ (S. 54). Jahre später wird Eckermann, beauftragt von Goethe, Schwierigkeiten haben, dessen Texte eindeutig zu identifizieren.

Goethe zieht nach Weimar und Merck gewinnt Anschluss an den dortigen Kreis, es entwickelt sich eine enge Freundschaft mit Anna Amalia, Carl August und Wieland, während die Beziehung zu Goethe abflaut. Autoren nehmen sich schon damals nicht nur als Freunde und Kollegen wahr, auch Animositäten und Konkurrenz spielen eine Rolle. Merck hofft wohl, ebenso wie Herder und vor Goethe noch Wieland an den legendären Musenhof berufen zu werden, doch Goethe achtet auf Distanz, ähnlich wie bei anderen „Dichterkollegen“. Demmler nennt als Beispiele Klinger, die Brüder Stolberg oder den Autor des „Hofmeister“ und zitiert aus einem ablehnenden Brief Goethes an den Hofrat von Einsiedel: „Lenz wird reisen“ (S. 118).

In 15 Kapiteln, teilweise überschneiden und wiederholen sich die dargestellten Ereignisse, dokumentiert Demmler den langsamen Prozess der Entfremdung der Freunde. Man gewinnt den Eindruck, selbst an der Entwicklung teilzunehmen, weil Demmler immer wieder längere Abschnitte aus Briefen zitiert: von und an Goethes Mutter, Anna Amalia, Carl August, Wieland, Herder und Andere, auch weitere Überlieferungen einfügt, leider ohne die Quellen genau anzugeben. Das macht die Erzählung amüsant und spannend, erschwert aber das Verständnis, wenn neben offiziellen, für die Öffentlichkeit bestimmten Äußerungen, briefliche Sottisen stehen, eher privater Natur, als diskreter Spott unter Freunden formuliert.

Mitunter findet man boshafte Kolportage. Offenbar lässt Demmler sich davon animieren, wenn er Herder als „immer neidische und missgünstige Klatschbase“ (S. 138) oder den Komponisten Kayser als „faul“ (S. 158) qualifiziert. Der Wunsch nach umfassender Darstellung führt zu Längen und dem ausführlichen Abdruck von Auszügen, deren Wert Demmler mit gutem Grund selbst bezweifelt: „Karl August Böttiger, der zwar als intimer Kenner der Weimarer Verhältnisse gilt, dessen Überlieferungen aber nicht immer den Tatsachen entsprechen“ (S. 129–130). Die ordnend streichende Hand eines Lektors hätte man sich bei Zitaten dieser Art gewünscht.

Während Goethe Distanz gewinnt, manche seiner brieflichen Erwiderungen lassen sich als lästige Pflichtübungen oder gar Hohn lesen, wenn er auf einen langen Brief Mercks mit Klagen über seine schwierige und bedrohliche Situation antwortet und mit den Worten endet: „Lebe wohl, ich bin zufrieden und vergnügt“ (S. 195), wird Merck offenbar für Wieland und seinen „Merkur“ als Autor immer wichtiger, steigt auf zum geschätzten Korrespondenzpartner des Kreises von Anna Amalia. Als Merck sich verkalkuliert bei dem Versuch, seine Existenz als Fabrikant abzusichern, seine Ämter am Hof in Darmstadt befriedigen ihn nicht, hilft ihm Carl August großzügig aus der Verlegenheit, um einen Bankrott und den Ruin der Familie abzuwenden.

Standen sich die beiden Freunde zu Beginn der Entwicklung im „Sturm und Drang“ noch recht nahe, unterscheiden sie sich später in der Beurteilung der Französischen Revolution. Goethe hatte anfangs noch den Freiheitsbaum gezeichnet mit dem Schild „Passans, cette terre est libre“, später überwiegt in seinem Urteil die Ablehnung der mit ihr verbundenen Gewalt. Deshalb vermutet Demmler: „Spätestens beim Thema Revolution hätten sich Goethe und Merck vermutlich endgültig entzweit“ (S. 204). In „Dichtung und Wahrheit“ oder Eckermann gegenüber gibt Goethe ein Bild von Merck, das zwar dessen Verdienste würdigt, ihn aber auch als im Umgang schwer zu ertragenden Charakter zeichnet.

Aufgelockert wird der Band mit seinen 215 Seiten von 10 Abbildungen in Schwarz-Weiß. Hilfreich wegen der recht assoziativen Erzählweise wären eine Chronik gewesen und ein Register, vor allem aber ein genauer Nachweis der Herkunft der einzelnen Zitate, um deren Stellenwert nachvollziehen zu können. Trotzdem kann die Lektüre helfen, die Verhältnisse in der damaligen literarischen Welt mit ihren feudalen Mini-Staaten besser kennenzulernen und Interesse zu wecken, in diesem mit dokumentarischen Texten üppig unterfütterten Lesebuch das Leben und tragische Ende eines Gelehrten, Künstlers und Naturwissenschaftlers besser zu verstehen, der als einer der führenden Intellektuellen der Spätaufklärung wichtige Akzente zu setzen vermochte.

(c) Olms

Martin Demmler
Wir bespiegeln uns in einander … Goethe und Johann Heinrich Merck. Die Geschichte einer Freundschaft

Hildesheim 2024
215 Seiten
ISBN 978-3-7582-0804-1

Preis: 19,80 €


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