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Ritt mit tragischem Ende – eine neue Illustration von Goethes „Erlkönig“

von Andreas Rumler

Ein wunderschön gestaltetes Bilderbuch. Die Zeichnungen erinnern gerade bei den Gesichtern an Figuren von Walt Disney, wie beispielsweise in „Cinderella“, ohne allerdings deren penetrant verkitschte Süßigkeit aufzuweisen. Modern in der Gestaltung, sachlich und minimalistisch auf wesentliche Aspekte von Handlung und Geschehen reduziert. Klar und präzise konturierte Striche bestimmen das Bild, verleihen ihm seine Deutlichkeit. Bereits der Titel deutet an, was passieren wird: Hilfesuchend klammert sich ein kranker, sterbender Junge an seinen Vater.

Der eher traurigen Handlung entsprechen die Farben: grau gehalten, mit nur wenigen hellen, etwas bunteren Tönen. Wenige grüne Teile, einige gelbe Farbtupfer, ein wie ein Leitmotiv wiederkehrender leicht abgedunkelter Rot-Ton und vor allem Weiß- und Grau-Variationen bis hin zu Schwarz dominieren hier die Palette. Karg gehalten auch die gesamte Szenerie, kaum Hintergrund im Bild: Baum-Silhouetten, der Kopf des Pferdes mit feurig rot leuchtendem Auge. Auf eine Seitenzählung verzichtete der Verlag, was dem Leser bei schnellem Durchblättern fast den Eindruck gibt, einen Zeichentrick-Film oder eine moderne Computer-Animation ablaufen zu sehen.

Bekannte Motive der Kunstgeschichte wie der „Grüne Mann“ – oder die „Blattmaske“, wie man hierzulande lange sagte – tauchen auf, etwa ein männlicher Kopf, dessen Bart und Brauen die Gestalt von Blättern haben. Beinahe erschrocken verharrt der Sohn vor diesem mit leuchtend weißen Augen bedrohlichen Angesicht. Offenbar flößt es ihm Angst ein. Einige Seiten später wiederholt sich dieses Motiv, nun erwachsen Blätter dem Kopf statt der üblichen Haare. Erlkönigs Töchter erinnern an Sirenen, mit ihren Klauen greifen sie nach dem Knaben im Todeskampf, unwillkürlich denkt man dabei an Hänsel und die Hexe.

Ausgesprochen gekonnt ist auch gezeichnet in mehreren Etappen, wie der Junge langsam dem Tod anheimfällt, wie der Erlkönig mit einem Kragen aus Blättern ihm eine Art Totenkranz über den Kopf hält. Blutig rosa gefärbt, rahmt er mit Bluts-Tropfen das Kind ein. Mit geschlossenen Augen hockt der Knabe da, ganz seinem Schicksal ergeben.

Auszug aus „Erlkönig“ (Wunderhaus Verlag)

Schade ist, dass man über die Künstlerin, die den Band gestaltete, fast nichts erfährt. Im Pressetext kann man lesen, die „neu illustrierte Buchausgabe“ besteche „durch die eindrücklichen Illustrationen der jungen Künstlerin Elzas3.“ Damit wäre zumindest die heute interessierende Gender-Frage geklärt. Gern hätte man konkretere Angaben erfahren, dieses recht abstrakte Pseudonym lässt eher an eine Programmier-Sprache oder einen Code denken als an ein lebendes Wesen, gewissermaßen an einen Erlkönig am oder im Computer.

Begleitend wird Goethes kompletter Balladen-Text von zwei erläuternden Beiträgen eingerahmt. Dr. Hannes Höfer, der Leiter der Geschäftsstelle der internationalen Goethe-Gesellschaft in Weimar, hat zum Verständnis dieses komplizierten Textes ein hilfreiches Vorwort beigesteuert. Darin spricht er von einer „kreativen Übersetzung“ Johann Gottfried Herders, der eine dänische Ballade mit dichterischer Freiheit ins Deutsche übertrug und einen Elfenkönig zum „Erlkönig“ ernannte. Goethe griff darauf zurück und bereicherte die deutsche Sprache just um diesen Begriff. Legion sind inzwischen die Vertonungen und Illustrationen zu dieser wohl bekanntesten und geheimnisvollsten Ballade Goethes. Meine Großmutter hatte einen edel gerahmten Scherenschnitt des reitenden Vaters mit dem sterbenden Kind im Arm über ihrem Klavier hängen.

Für ein Nachwort gewann der Verlag Siegfried Ziegler von der Ortsvereinigung der Goethe-Gesellschaft in Erlangen. Er bettet die knapp formulierte Ballade in einen möglichen erzählerischen Zusammenhang ein und liefert zur Handlung noch eine knappe Vorgeschichte: „Ein kleiner Junge stirbt. Der Vater hat wohl mit dem Sohn die Großeltern besucht …“ Die Großmutter habe ihrem Enkel ein dänisches Märchen erzählt, von Elfen handelte es. Rasch reiten sie heim: „Der Vater treibt das Pferd an, während das sterbende Kind in Atemnot gerät. Am heimatlichen Ziel ist der kleine Junge tot. Schluss. Ohne Trost. Kein schönes – ein ehrliches Gedicht.“

Auf eine verblüffende Weise erinnerte mich dieses eindrucksvolle Nachwort von Siegfried Ziegler an meine erste Begegnung mit Goethes Text. Als ich meine Großmutter nach dem Scherenschnitt an der Wand fragte, freute sie sich, griff nach ihrer Goethe-Ausgabe und las mir den „Erlkönig“ vor, wie sonst Märchen. Entsetzt war ich als kleiner Junge über diesen Ausgang. Dass böse Hexen sterben müssen im eigenen Ofen, hatte mir eingeleuchtet. Aber ein kleiner unschuldiger Junge? Hätte der Vater ihn nicht bei den Großeltern ins Bett stecken können? Meine Großmutter hätte mich aufopfernd gepflegt. Musste der Vater den anstrengenden Ritt riskieren?

Nächtelang verfolgte mich das in den Armen seines Vaters sterbende Kind in meinen Träumen. Damit hatte meine liebe Großmutter nicht gerechnet. Bitter bereute sie ihre spontane Reaktion, mir die Ballade vorzulesen. Zweifellos ist hier der „jungen Illustratorin Elzas3“ eine gekonnte Umsetzung von Goethes schaurigem Text gelungen, eine moderne Fassung, auf wenige Farben beschränkt, angemessen bringt sie den Charakter dieser tragischen Entwicklung ins Bild. Gut überlegen sollte man sich allerdings, ab welchem Alter man damit jugendlichen Lesern wirklich eine Freude macht.

(c) Wunderhaus Verlag

Johann Wolfgang von Goethe
Der Erlkönig
Illustriert von Elzas3
Altersempfehlung: ab 7 Jahre

Dresden 2023
36 Seiten, durchgehend mehrfarbig illustriert
ISBN 978-3-96372-035-2

Preis: 17,00 €


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