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Goethe weltweit, Interview

Fragebogen: Jules Kielmann


Jules Kielmann mit dem Goethe-Jahrbuch (Foto: Petra Oberhauser)

Von Mai bis Juli war Jules Kielmann von der Universität Uppsala als Werner-Keller-Stipendiatin zu Gast in Weimar. Über Ihre Zeit hier und über Ihre Arbeit zu Amalie von Helvig berichtet sie nun in unserem Fragebogen.

Wie haben Sie selbst zur deutschen Kultur gefunden, welche Einflüsse haben eine besondere Rolle gespielt?

Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen und habe mich seit den Teenagerjahren für Literatur und Sprache interessiert. Neben Germanistik habe ich nach dem Abitur deshalb auch Skandinavistik studiert, zunächst im Nebenfach und bald schon im Hauptfach, da mich die etwas weniger beforschten Literaturen des Nordens und die besondere Natur fasziniert haben. Die verstärkte Rückwendung zur Germanistik hat sich im Rahmen meiner literaturwissenschaftlichen Doktorarbeit und Lehre an der Universität von Uppsala natürlich ergeben, da mein Thema sich mit kulturellem Transfer zwischen Deutschland und Skandinavien um 1800 beschäftigt. Ich habe auch festgestellt, dass meine Kenntnisse der deutschen Literatur eine gute Ergänzung des Lehrangebotes an meinem Institut bilden. Besonders gerne unterrichte ich zu Goethes Werther und zur deutschen Romantik.

Wie haben Sie das Thema für Ihre wissenschaftliche Arbeit gefunden?

Auf Amalie von Helvig stieß ich im Zusammenhang mit Recherchen zu meiner ursprünglich geplanten Doktorarbeit zu den Tagebüchern von Schwedinnen auf Reisen durch Europa um 1800. In der Reisebeschreibung Malla Montgomery-Silfverstolpes, die unter dem Titel Das romantische Deutschland. Reisejournal einer Schwedin (1825–1826) 1912 auch auf Deutsch erschien, entdeckte ich Helvig als unheimlich interessante Person des deutsch-skandinavischen Geisteslebens um 1800, zu der es überraschender Weise noch keine Monographie gibt. Auch Helvigs eigene Schriften faszinierten mich so, dass ich mein Dissertationsthema wechselte und mich stattdessen mit Helvigs Werk und Wirken beschäftige.

Was wussten Sie von Weimar, bevor Sie die Stadt kennengelernt haben? Was wussten Sie über die Goethe-Gesellschaft?

Während früherer Besuche hatte ich bereits die Möglichkeit, Weimar und das enorme kulturelle Angebot der Stadt zu erleben, und wurde auch während meines diesjährigen längeren Aufenthaltes nicht enttäuscht. Über die Goethe-Gesellschaft wusste ich weit weniger; hauptsächlich, dass sie für die Herausgabe des Jahrbuchs zur Goetheforschung verantwortlich ist und regelmäßig Tagungen veranstaltet. Ich war deshalb sehr freudig überrascht, dass auch mein Thema, dass sich mit Amalie von Helvig ja mit einer Person beschäftigt, die sich nur in der Peripherie Goethes befand, so viel Interesse fand.

Wie beurteilen Sie den Verlauf Ihrer Studien in Weimar; gibt es Wünsche, bei deren Erfüllung die Goethe-Gesellschaft helfen kann?

Mein Aufenthalt war von entscheidender Bedeutung für meine Arbeit. Sowohl das Kapitel zu Helvigs kompliziertem Verhältnis zu Goethe und Schiller als Lehrern, Vorbildern, Kontaktvermittlern und „Kollegen“ als auch Abschnitte zu Helvigs Positionierung als Schriftstellerin gegenüber ihrem Verleger Brockhaus hätten ohne Einsicht in das Briefmaterial im GSA nicht entstehen können. Überhaupt hat es mir geholfen, mir Helvig als Menschen in einem bestimmten lokalen Kontext vorzustellen, weil ich ja täglich selbst an Gebäuden und Plätzen vorbeiging, an denen sie entweder selbst einst flanierte, oder die nachträglich Namen von Personen aus ihrem Bekanntenkreis erhalten haben. Und auch die vielen Vorträge und Gespräche während meines Aufenthaltes, zum Beispiel zu Goethes und Schillers Rechtsbegriffen, haben mein Bild um einige Perspektiven erweitert und vertieft.

Wie ist Ihr aktueller Eindruck von Deutschland allgemein, ist Ihnen etwas Besonderes aufgefallen, im guten wie im weniger guten Sinne?

Seit ich vor gut zehn Jahren von meinem Studienort Freiburg im Breisgau nach Schweden zog, hat sich meines Empfindens so Einiges getan in Deutschland, insbesondere was die Gleichstellung der Geschlechter und das Angebot veganer und vegetarischer Lebensmittel und nachhaltiger Kleidung betrifft. Die Fortschrittlichkeit hinsichtlich Gleichstellungsfragen könnte natürlich am besonderen universitären Milieu von Weimar und Jena als ehemaligen DDR-Städten liegen. So war ich von den genderneutralen Toiletten und den Wickelangeboten in den Unigebäuden in Jena ebenso positiv überrascht wie von der konsequenten Verwendung des Gendersternchens in Handouts und Flyern der Klassik Stiftung Weimar. Und von den veganen Kuchenalternativen im Café des Studienzentrums! Davon war die Uni in Freiburg 2012 noch weit entfernt.


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